Mutter und Sohn in der Einsamkeit der See- und Seelenlandschaft: »Kein Wort« von Hanna Slak – unser Film des Monats.
Es stimmt was nicht: mit Lars und Nina Palček. Entweder mit dem einen oder der anderen nicht oder mit der Beziehung von Mutter und Sohn. Wir spüren es an der Art, wie sie sich in der gemeinsamen Wohnung (ohne den getrennt lebenden Vater Alex Goff) verhalten, einander mit unbewegter, argwöhnischer Miene beobachten, umschleichen, er absichtlich den Toast fürs Frühstück anbrennen lässt, wie kühl und knapp sie ihn an der Schule absetzt. Und wie zögerlich sie seine Hand berührt, als Nina im Krankenhaus an seinem Bett steht, nachdem der halbwüchsige Lars offenbar aus einem Fenster der Schule gefallen ist, als er es reparieren wollte, und bei dem Sturz eine Gehirnerschütterung erlitten hat. Oder war es gar kein Unfall? An derselben Schule war kurz zuvor eine 13-jährige Mitschülerin von Lars, Carla, durch ein schreckliches Verbrechen zu Tode gekommen, war verbrannt und im Müll gefunden worden.
Die Kamera errichtet unsichtbare Mauern zwischen den Figuren, hält sie voneinander fern, setzt sie – ornamental – in einen bezuglosen Bezug. Nina verhält sich emotional so abstrakt und poliert, wie die Oberflächen des Mobiliars in ihrer Küche glänzen, wie die aufgeräumte Leere der Wohnung, wie die schmucklose Perfektion ihres Auftretens in Kleidern aus weicher weißer Wolle.
Auf Lars’ Wunsch hin fahren sie auf eine Insel im Westen Frankreichs – obwohl Nina keine Zeit hat, weil die Dirigentin in den Endproben für ein Konzert steht, und obwohl Winter ist. Die Überfahrt begleitet die aufrührerische Musik aus Gustav Mahlers Fünfter Sinfonie, die Nina gerade einstudiert (hier gespielt von den Berliner Symphonikern unter Simon Rattle). Aber zunächst erklingt nicht deren Adagietto, das unvergänglich verbunden ist mit Viscontis Verfilmung von Thomas Manns Novelle »Tod in Venedig«. Das Haus der Familie, dessen Sprossenfenster wie vergittert aussehen, liegt abgeschieden in der felsig schrundigen Bucht der Steilküste.
Die Stimmung zwischen den Beiden bleibt beinahe feindselig. Die sprachlose Wut des Jungen äußert sich in Zerstörungslust und Aggression, die sich auch gegen ihn selbst richtet. Die Mutter mutmaßt und fürchtet, dass Lars etwas mit dem Tod von Carla zu tun gehabt haben könnte. Sie sagt »Kein Wort«, doch Lars spürt ihr befangenes Misstrauen. Nina meint: »Manchmal ist es besser, wenn man Sachen nicht ausspricht«. Lars fragt nach: »Für wen ist es besser?«
Die schroffe Natur als Spiegel der Seele, so kennen wir es etwa aus den auf der Insel Fårö gedrehten Filmen von Ingmar Bergman. In dem beklemmenden Psychodrama sind die Farben trüb und fahl und bleiern. Nina und Lars (mit Maren Eggert und Jona Levin Nicolai großartig besetzt) werden mehrfach von hinten oder aus der Ferne fotografiert, als seien sie in einer Landschaft von Caspar David Friedrich zuhause. Ein Sturm zieht auf: Wuthering Heights. Erst von einem eskalierenden Moment an verströmt sich Mahlers Adagietto, während Lars sich im Auto einschließt und den Feuerlöscher betätigt, so dass er hinter weißem Schaum verschwindet, der die Fensterscheiben undurchsichtig macht.
Das Motiv der Flamme und des Brennens glimmt durch den atmosphärischen Film von Hanna Slak: ein Spiel mit dem Feuer, das Lars und Nina provozieren und fürchten. Nachdem Ruhe eingekehrt ist und sie zu reden und zuzuhören begonnen haben, geht es daran, das Zerbrochene zusammenzufügen. Lars sagt: »Wir haben doch schon alles kaputt gemacht, oder fällt Dir noch was ein?« Dann geht er an den Strand und repariert ihr zu Bruch gegangenes Ruderboot, macht es heil, streicht es weiß an, nennt es Carla und entlässt es aufs Meer. *****
»Kein Wort«, Regie: Hanna Slak, D / F / Slowenien 2024, 85 Min., Start: 4. Juli