»The World Premiere of the Amiga« hieß es am Abend des 23. Juli 1985 in New York. Gefeiert wurde der neue Computer mit einer großen Show, viel Tamtam und einem Marketing-Coup: Immerhin war es gelungen, Andy Warhol auf die Bühne zu holen. Das Publikum konnte zuschauen, wie der Künstlerstar mit der Maus in der Hand am Computer ein Porträt der Blondie-Sängerin Deborah Harry schuf. Und damit bewies: Der Amiga kann auch Kunst.
Der Video-Mitschnitt des Spektakels ist heute im Netz zu finden. Das damals entstandene Bildnis hat im Archiv des Warhol-Museums überlebt. Für fast drei Jahrzehnte verschwunden waren dagegen viele Arbeiten, die rund um die Show bei Warhols Experimenten mit dem Computer entstanden sind. 2014 erst gelang es Computerexperten, die Daten von den alten Disketten zu restaurieren. Einige ausgedruckte Bild-Beispiele bereichern jetzt die Ausstellung »Zwischen Pixel und Pigment«, die beim Blick auf »hybride Malerei in postdigitalen Zeiten« auch die Anfänge im Auge behält.
Sie bleibt nicht bei Warhol stehen, sondern späht noch ein ganzes Stück weiter in die Vergangenheit zur kürzlich im Alter von fast 100 Jahren verstorbenen Vera Molnár. Die hatte schon in analogen Zeiten mit dem Algorithmus gearbeitet, bevor sie 1968 den Computer als Werkzeug und Assistenten für sich entdeckte und ihre künstlerischen Experimente bald im Forschungslabor eines Computerherstellers durchführte.
Damals nahmen Rechner noch ganze Räume ein. Und selbst 1985 war die Maus in der Hand für Warhol noch ein völlig neues, unbekanntes Ding. Heute, in unseren »postdigitalen Zeiten«, sind die digitale Technik und ihre Instrumente längst Selbstverständlichkeiten.
Digitales und Analoges scheinen untrennbar verschmolzen – auch in der Malerei, die das Projekt in Bielefeld und Herford in den Fokus rückt und dabei weit über Pinsel und Pigment hinausdenkt. Malerei könne auf der Leinwand, aber ebenso gut im Lightroom, dem Bildbearbeitungsprogramm von Adobe, stattfinden, erklärt Benedikt Fahrnschon von der Kunsthalle Bielefeld, der die Schau mit Kristin Kreisel vom Marta Herford kuratiert hat.
Bei der Auswahl der 25 Künstler*innen und ihrer Arbeiten interessierten die beiden denn auch kaum Methoden oder Materialien, die Verwendung fanden. Entscheidend war vielmehr die malerische Denkweise. Und die lässt sich selbst bei einem Künstler wie Tim Berresheim ausmachen. Eigens für die Ausstellung ist der Aachener Pionier computerbasierter Kunst mit einem Handscanner durch die Bielefelder Sammlung gestreift und hat die Oberflächen von Gemälden abgescannt. Die Datensätze wurden anschließend in den Rechner überführt und zur Grundlage für eine neue, digital erstellte Malerei, die nun geprintet und gerahmt präsentiert wird.
Fast noch etwas komplizierter wirkt der »malerische« Schaffensprozess bei Rafaël Rozendaal, der seine Werke mit Hilfe eines selbst entwickelten Browser-Plug-ins erstellt, das Informationen auf Websites in knallbunte geometrische Kompositionen übersetzt. Täglich ist der Künstler mit dem Programm im Netz unterwegs und generiert auf seine Weise tausende von Bildern. Einige ausgewählte lässt er in Jacquard-Wandteppiche umsetzen, wie sie nun auch in der Ausstellung zu sehen sind und auf die Verwandtschaft von Computer und Webstuhl anspielen.
Zwischen Vera Molnárs frühen Experimenten im Computer-Labor und den hochkomplexen digitalen Arbeiten von zeitgenössischen Künstler*innen wie Berresheim oder Rozendaal liegt mehr als ein halbes Jahrhundert. Und ein riesiges Thema, für das ein Haus allein kaum ausreichend Kapazitäten geboten hätte. Umso erfreulicher ist die Kooperation zwischen Bielefeld und Herford. Als dritter Partner kommt die Kunstakademie Münster hinzu, die das Projekt wissenschaftlich untermauert und ein öffentliches Symposium organisiert, das in Bielfeld startet und am Folgetag nach Herford wandert.
Als Kurator*innen betonen Kreisel und Fahrnschon: Es seien nicht zwei Ausstellungen, sondern eine einzige an zwei Orten. Manche der Künstler*innen sind hier, andere dort und einige auch in beiden Häusern präsent. So Corinne Wasmuth, die wohl als Schlüsselfigur zum Thema Pixel und Pigment durchgehen kann. Bielefeld zeigt erstmals ein ganz neues Werk von ihr. Während das Marta zurückschaut auf das Gemälde »Gewalt«, für das Wasmuth 2001 zum ersten Mal den Computer benutzte. Zuvor hatte die 1964 in Dortmund geborene Malerin Filmstills und Bilder aus Büchern oder Zeitungen gesammelt, per Hand ausgeschnitten und zusammen mit eigenen Fotos zu detailreichen Vorbildern collagiert. Seither aber benutzt die Malerin den Computer: Im Atelier bedient sie sich mehrerer Bildschirme und sampelt die Motive. Im »Gewalt«-Gemälde etwa kommen heruntergeladene Pressefotos vom Nahost-Konflikt zusammen mit Aufnahmen blutiger Unruhen in Los Angeles und einem sternklaren Nachthimmel. Wasmuth kombiniert und komponiert, schichtet und verschiebt. Dann erst kommt die Malerei – altmeisterlich und im Großformat.
Auch Vivian Greven malt weiterhin klassisch – und virtuos. Dabei greift die Düsseldorfer Künstlerin oft auf Themen und Motive aus der Kunstgeschichte zurück. Sammelt Material im Internet, erforscht und hinterfragt alte Vorbilder ebenso wie gegenwärtige Verhaltensmuster. Sie klopft etwa Geschichten aus der Mythologie ab auf ihre zeitlose Relevanz, die bis in die digitale Gegenwart reichen kann. Amor und Psyche zum Beispiel haben ihr und unserer Zeit einiges zu sagen. Wenn Greven das mythologische Paar mit malerischer Akkuratesse auf die Leinwand bringt, zitiert sie dabei offensichtlich die Ästhetik digitaler Bildwelten: Makellose Körper, geglättete Gesichter, Bildfragmente, die aneinander gesetzt werden, lassen an digitale Bildbearbeitungsprogramme denken; hier und da baut Greven sogar typische Fehler ein, wie sie sich bei Photoshop & Co einschleichen.
Kunst und Keime
Mit Mitteln wie diesen werfe die Malerin nicht zuletzt Fragen auf – nach dem Individuum und auch nach einer Körperlichkeit im digitalen Raum, erklärt Kreisel. Zusammen mit ihrem Kollegen hat die Kuratorin sich vorgenommen, in der Schau ein möglichst breites Spektrum an Mitteln und Wegen abzubilden. »Die Pluralität der Möglichkeiten zu zeigen, das ist uns wichtig«, stimmt Fahrnschon zu. So begegnet man etwa Wade Guyton, der digitale Bilder auf grundierte Leinwand druckt und Avery Singer – bekannt für »Malereien«, die sie mit 3D-Modellierungssoftware und computergesteuertem Airbrush erstellt hat. Oder auch Pieter Schoolwert, dessen Gemälde mit manipulierten Figuren bevölkert sind, die von der Entfremdung des Körpers in digitalen Zeiten erzählen.
Ebenfalls dabei: Anicka Yi. Die Künstlerin aus Südkorea arbeitet mit Forschern und Künstlicher Intelligenz, verbindet Kunst und Wissenschaft, nutzt etwa Keime und Mikroben, um hybride Ökosysteme zu erschaffen. Auch Gemälde entstehen, deren Motive auf Algorithmen eigener Arbeiten zurückgehen. Die jüngste in der postdigitalen Auswahl für Herford und Bielefeld heißt Salomé Chatriot und hat sich eigentlich mit Performances einen Namen gemacht. Inzwischen jedoch generiert die 1995 in Paris geborene Künstlerin auch Bilder, in denen sie die Verbindung von Mensch und Maschine thematisiert, dabei Elemente der Technologie mit Organischem verschmelzen lässt.
Natürlich hätte man die Häuser auch mit ganz anderen Positionen füllen können, bemerkt Fahrnschon. Schließlich sei das Digitale aktuell allgegenwärtig in der Kunst. Er komme gerade von der Art Basel, wo man an jeder Ecke auf dieses Thema gestoßen sei. Manch einer begegnet den technologischen Neuigkeiten mit Skepsis, manch einer mit Euphorie, wie sie einst auch Warhol antrieb, als er – immer offen für neue Medien und Formate – mit der Maus in der Hand den neuen Amiga erkundete.
Viel häufiger scheint aber, auch in den Werken der Ausstellung, beides auf: Begeisterung und Bedenken. Wenn Künstler*innen mit Leidenschaft die technischen Möglichkeiten des Digitalen erforschen und nutzen, in ihren Werken aber gleichzeitig die beängstigenden Folgen der Digitalisierung zur Diskussion stellen.
Warum er sich für computergenerierte Bilder interessiere, das wurde Pieter Schoolwert einmal in einem Interview gefragt. Seine Antwort: »Weil ich oft denke, dass die Malerei, wenn sie nicht weiterhin die Welt reflektiert, ihre Fähigkeit verliert, kritisch zu sein. Sie würde dann darauf zusteuern, einfach nur eine weitere veraltete handwerkliche, analoge Fetischindustrie zu werden, die auf Nostalgie basiert.«
Kunsthalle Bielefeld
Marta Herford
7. Juli bis 10. November
Das begleitende Symposium findet am 19. Juli in der Kunsthalle Bielefeld und am 20. Juli im Marta in Herford statt. Der Eintritt ist frei