Im besten Fall hinterlässt Kunst ihre Spuren. In unseren Herzen, in unseren Hirnen. Ja, manchmal sogar auf unserem Kopf. Ungewohntes zu wagen, das ist ein Anspruch, der beim Festival »Bildstörung« in Detmold jedenfalls wortwörtlich genommen wird: Das kanadische Kollektiv Mammalian Diving Reflex hat sich darauf spezialisiert, Menschen auf ungewöhnliche Weise zusammenzubringen. Diesmal: in einem Friseursalon im öffentlichen Raum. Mit Friseur*innen, die gerade einmal zehn Jahre alt sind und nur eine Woche lang ausgebildet wurden. Ihre Aktion »Haircuts by children« soll also genau das werden, wonach es klingt – ein Experiment. Ein Selbstversuch in Sachen Verantwortung, Kontrolle. Und Eitelkeit.
Herausfordernd ist das Programm, das die künstlerische Leiterin Sabine Kuhfuss zusammengestellt hat, mit 100 Künstler*innen aus neun Ländern in jedem Fall. Herausfordernd, weil viele Projekte partizipativ angelegt sind, den gesamten Stadtraum einbeziehen und Themen wie Klimawandel, Demokratie oder Verlust thematisieren.
Manches Projekt hatte an anderer Stelle schon für Aufsehen gesorgt, bevor es jetzt in Ostwestfalen-Lippe einen großen Auftritt bekommt: Wie bei der Ruhrtriennale 2022 will das Parkour-Duo Be Flat alias Ward Mortier und Thomas Decaesstecker, denen das Publikum mit Campinghockern durch Detmold folgt, die Straßen in Bühnen, Fassaden in Kulissen und den Asphalt in Tanzflächen verwandeln. Nach Inszenierungen im Kölner Stadtraum plant indes Ernesto Daniel Müller am Haus Ameide »Aufgelöst« zu zeigen, eine eindrückliche Produktion von Angie Hiesl und Roland Kaiser: Mitten in der Stadt wird dafür der Hausrat eines verstorbenen Menschen aufgetürmt – für ein Zwiegespräch über Leben und Tod, Erinnerung und Vergänglichkeit.
Urbanes Märchen
Schon in der Woche vor dem Festival sind Künstler*innengruppen wie das TheatreFragile, Le G. Bistaki, Eléctrico 28, Jascha Sommer und Jakob Engel in Detmold unterwegs, um das Leben in der Stadt zu beobachten und an ihren ortsspezifischen Stücken zu arbeiten. Schließlich stehen mit der Gesellschaftssatire »Tancarville« eine Weltpremiere und gleich mehrere Deutschlandpremieren auf dem Programm: Das BallePerdueCollectif etwa bereitet »I’m not Giselle Carter« vor, eine hybride Show, in der sich Text, Musik und Choreografie überschneiden sollen, ein Stück, das »wie ein urbanes Märchen und ein Pop-Evangelium aussieht«, wie es in der Ankündigung heißt – los geht alles mit dem Ende von Sängerin Beyoncé. Oder »Fantasie minor«, für das der portugiesische Choreograf Marco da Silva Ferreira zu Schuberts Fantasie in f-Moll ein Duo geschaffen hat, das Spitzenschuhe gegen Stiefel tauschen will: Die Tänzer*innen Chloé Robidoux und Anka Postic planen, sich in der Martin-Luther-Kirche zwischen Burleske und Klassik zu bewegen – und schließlich bei einem ungewöhnlichen Duell zu verstummen, während die Musik voranschreitet. Dazu will das belgisch-französische Collectif Malunés auf der Brunnenwiese in einem Zirkusspektakel über Demokratie nachdenken (»We agree to disagree«), Tristan Kruithof mit »Radio Barkas« seine Schallplatten-Sammlung in Oldtimern präsentieren oder Nikola Dicke in ihr Graffiti-Mobil einladen.
17. bis 20. Mai, im Detmolder Stadtgebiet, bildstoerung.net