Herr Attatroll? Zu sprechen gibt es den leider nie. Auch wenn es immer wieder Menschen gäbe, so erzählt Thomas Kirstein lachend, die tatsächlich wegen ihm in der gleichnamigen Buchhandlung anriefen. Ans Telefon kommt dann entweder sein Geschäftspartner Ralf Kropla. Oder eben der gebürtige Darmstädter, der eigentlich in Bochum Physik studieren wollte – in Recklinghausen dann aber als gelernter Buchhändler seine Berufung fand. Im Laden »Attatroll«, der 1983 zunächst als selbstverwalteter (und zu Anfang ehrenamtlicher) Literaturbetrieb im Rahmen eines alternativen Zentrums gegründet worden war. Als Namensgeber diente eine 1841 von Heinrich Heine erdachte Figur, der Tanzbär Atta Troll. Thomas Kirstein war 1992 auf der Suche nach einem unabhängigen Buchgeschäft dazugestoßen – wertebewusst ist die Auswahl der Bestände hier bis heute: Nach wie vor werden bei »Attatroll« nicht nur Bücher der großen »Konzernverlage«, sondern auch Titel kleiner, unabhängiger Verlage empfohlen, die im Feuilleton vielleicht gar nicht so präsent, von deren Qualität beide Inhaber aber überzeugt sind. »Ich habe Literatur immer eher als Möglichkeit gesehen, sich Fragen zu stellen, als Antworten zu geben«, sagt Kirstein, der eine besondere Beziehung zur deutschsprachigen Literaturszene der Schweiz hat: Bei den Solothurner Literaturtagen hatte er Jörg Steiner kennen- und schätzen gelernt.
Thomas Kirstein empfiehlt:
Jörg Steiner: Im Sessel von Robert Walser
Jörg Steiner war einer der deutschsprachigen Schweizer Autoren, die in der Generation nach Max Frisch geschrieben haben. Jemand, dessen Texte ich nicht nur sehr schätze. Gemocht habe ich ihn auch als Mensch. Das Buch mit seiner »Kartenpost«, wie es im Untertitel heißt, ist 2015 erschienen – da war er schon zwei Jahre tot. Herausgegeben hat es die Journalistin Hanne Kulessa, die er 1997/1998 als Stadtschreiber in Bergen-Enkheim, einem Stadtteil von Frankfurt, kennengelernt und mit ihr fortan Karten hin- und hergeschrieben hat. Das Buch bringt also diese Post zusammen, die sie von ihm bekommen hat. Und die von einer Freundschaft, einer großen Zuneigung zeugt. Diese Briefkarten zeigen, wie wunderbar Jörg mit Menschen in seiner Nähe umging. »Von allem, was es zu sagen gibt, ist mir das Unwichtigste das liebste.« Diesen Satz hatte er am 1. Mai 2003 geschrieben. Er ist für mich wie eine Art Etikett, das auf vieles in diesem Buch passt, in dem Steiner so einfühlsam, so präzise und ohne jegliche Klischees, von Menschen oder Reisen zum Beispiel erzählt. Für mich steht dieses Buch auch in gewisser Weise stellvertretend für die Verbindung, die wir zueinander hatten. Aus meiner Sicht ist Literatur eben nicht der große Aufmacher. Sie steht auch und gerade für das Unscheinbare. Das Nebenbei. Das macht für mich diese »Kartenpost« aus, die neben seinem Werk, seinen Romanen und Geschichten steht. Gerade hier im Kleinen wird Steiners Poetik deutlich: in Sätzen, in denen man sich wohnlich und ernstgenommen fühlt.
Jörg Steiner: Im Sessel von Robert Walser.
Kartenpost, herausgegeben von Hanne Kulessa,
Limmat Verlag 2015,
144 Seiten, 28 Euro