Dortmund sieht gelb. Das ist erstmal nicht ungewöhnlich, denn zu Heimspielen des BVB verwandelt sich die Stadt stets in ein gelbes (und schwarzes) Meer. Aber diesmal geht es nur am Rande um Fußball. Es geht um die berühmteste und vor allem langlebigste Fernsehfamilie der Welt, denen der Schauraum Comic eine einzigartige Jubiläumsausstellung widmet: den Simpsons.
Der Kurator und Kunsthistoriker Alexander Braun hat den Ausstellungsort für Comic und Cartoon direkt gegenüber des Hauptbahnhofs ins Leben gerufen und in den vergangenen fünf Jahren zu großen Erfolgen geführt. Zur Schau zum Thema Horror im Comic kamen rund 10.000 Besucher*innen – eine Zahl, die wesentlich größere Museen im Umkreis nicht erreichen. Außerdem ist der Kurator dafür bekannt, zu seinen Ausstellungen Bücher herauszubringen, die nicht bloß begleitender Katalog sind, sondern ein neues, allumfassendes Standardwerk zum Thema. Besonders beeindruckend gelang ihm das etwa, als es um den Graphic-Novel-Pionier Will Eisner ging.
Bei der Schau mit dem Titel »Gelber wird’s nicht«, die 35 Jahre Simpsons und den 70. Geburtstag ihres Schöpfers Matt Groening feiert, ist das nicht anders. Das begleitende Buch hat knapp 340 Seiten und erzählt nicht nur eine ausführliche Biographie Groenings, sondern blickt auch detailliert hinter die Entstehung der Serie und den kreativen Arbeitsprozess hinter einzelnen Folgen, zieht popkulturelle Bezüge, liefert Interviews mit den Machern und und und. Einige Kapitelüberschriften des Buchs finden sich in der Ausstellung wieder, aber die ist natürlich mehr auf Bilder, als auf Texte fokussiert. Zu jedem einzelnen von ihnen kann Alexander Braun lange Geschichten erzählen.
Die gesamte Wand gegenüber dem Eingang füllt zum Beispiel das von Simpsons-Chefzeichner Bill Morrison entworfene Cover von »The Yellow Album« mit Liedern aus der Fernsehserie. Es ist eine Hommage an die Collage, die das berühmte Beatles-Album »Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band« ziert und zeigt die Simpsons inmitten vieler anderer Bewohner ihrer fiktiven Stadt Springfield. Die Familie ist sogar gleich zweimal zu sehen: Einmal in ihrer bis heute aus den knapp halbstündigen Fernsehfolgen bekannten Gestalt und einmal in der noch etwas wilderen Form, die Matt Groening 1987 für kurze Clips in der Tracy Ullman Show entworfen hat. Alexander Braun weiß: »Der Streetart-Künstler KAWS hat Millionen gemacht, indem er dieses Cover einfach mit X-en statt Augen nachgemalt hat. Darüber gab es einen Rechtsstreit.«
Nach den kleinen und von der Kritik eher durchwachsen aufgenommenen Anfängen in der Tracy Ullmann Show schafften es Zeichner Matt Groening und der Produzent James L. Brooks trotzdem, dem Sender FOX, der damals neu war in der US-amerikanischen Fernsehlandschaft, eine erste Staffel als eigenständige Animationsserie zu verkaufen. In der vordigitalen Zeit bedeutete das, dass für eine Folge rund 24.000 gezeichnete und kolorierte Folien erstellt werden mussten, die dann den laufenden Film ergeben. Das kostete: 13 Millionen Euro machte der Sender für die ersten 13 Folgen locker, die zur Primetime laufen sollten. Ein ungeheurer Finanz- und Vertrauens-Vorschuss.
Nachdem die allererste Pilotfolge wohl nicht wirklich überzeugen konnte, begann die Erfolgsgeschichte mit der zweiten, die schließlich als erste ausgestrahlt wurde: »Bart is a Genius«. Schnell brachen die Simpsons den ersten Rekord und überholten die Familien Feuerstein als am längsten laufende Animationsserie im amerikanischen Fernsehen. Bald wurde sie auch zur am längsten laufenden Comedy- und überhaupt Primetime-Serie. Seit 35 Jahren werden kontinuierlich neue Folgen produziert, im Moment laufen Planungen zur 36. Staffel.
»Mauerfall, das Ende der Sowjetunion, 9/11, der Aufstieg des Internets, Smartphones, Globalisierung, Rückkehr von Nationalismus und Faschismus, Trump, Corona, Klimawandel und das größte Artensterben seit dem Dinosaurier-Zeitalter – alles begleitet von einer TV-Animation mit einer dysfunktionalen gelben Familie. Wahnsinn!«, schreibt Alexander Braun im die Ausstellung begleitenden Buch. »Und, um es noch verrückter zu machen: Die Simpsons sind nicht common sense des Mainstreams gewesen, als sie das Licht unserer Welt erblickten, nicht die kleinste gemeinsame Schnittmenge, auf die sich alle Menschen egal welcher Herkunft, Religion oder sozialen Schicht einigen konnten, sondern sie sind Avantgarde und Extravaganz gewesen, eine lange Anklageschrift, was im westlichen Kapitalismus so alles falsch läuft.«
Natürlich ist es nicht annähernd möglich, eine dermaßen reiche und lange Geschichte komplett abzubilden, aber der Kurator tut mit seiner Schau auf kleinem Raum trotzdem alles dafür: Man liest und sieht, was Matt Groening vorher gemacht hat – nämlich in einem kakerlakenverseuchten Appartement in Los Angeles leben und Comics um einen depressiven Hasen zeichnen – »Life in Hell«. Die Simpsons kritzelte er kurz vor einem wichtigen Termin mit dem Sender VOX auf seinen Block und benannte sie in der Schnelle nach seiner eigenen Familie: Vater Homer, der selber ein kreativer Kopf und Cartoon-Zeichner war, Mutter Margaret (Marge) und den Schwestern Maggie und Lisa. Mit dem frechen Bart scheint er eine Art Stellvertreter für sich selbst geschaffen zu haben.
Es gibt in der Ausstellung viele Original-Zeichnungen und-Folien, Storyboards, Comic-Bücher, Plattencover, Action-Figuren, von den Simpsons inspirierte Kunst wie die Bilder von Tim Doyle, der Orte aus Springfield in ein bläulich schimmerndes, dunkles und geheimnisvolles Licht taucht. Viele der Exponate sind extrem rares Zeug: Ein Becher der Donut-Marke Winchells mit Homer Simpson, der sagt: »Donuts made me what I am today« (nämlich ein großer Dummkopf). Eine Packung »Frostet Krusty O’s« – eine Art bunte Cornflakes, die ein Supermarkt nach der Serie gestaltete. Oder das Gewinnspiel, bei dem man einen realen Nachbau des gezeichneten Simpsons-Anwesens gewinnen konnte, das im Speckgürtel von Las Vegas steht.
Sicher wird die Simpsons-Schau alle bisherigen Rekorde des Schauraums sprengen. Aber was hat sie jetzt eigentlich mit Fußball zu tun? Wegen der kommenden Europameisterschaft und der Nähe zum Fußballmuseum will auch Alexander Braun seine Schau fit für ein internationales Publikum machen. Daher bietet er alle Texte auch auf Englisch an.
DIE SIMPSONS – GELBER WIRD’S NICHT
BIS 27. OKTOBER, SCHAURAUM COMIC + CARTOON, DORTMUND