Herzerwärmend, tiefgründig und voll stillem Witz. »Mein Leben mit Martha« ist alles davon – und ein Buch, das sehr viel mit Büchern zu tun hat. Denn als 2019 Martina Bergmann ihr Debüt veröffentlicht, wird schnell klar, dass es mehr ist als »nur« ein Roman über ihr Zusammenleben mit einer dementen alten Dame. Die Autorin und Verlegerin schreibt darin auch über ihren eigenen Buchladen, der inzwischen in Rietberg steht. Geschrieben hat diese Kolumne also diesmal sie selbst. AKI
Die Buchhandlung war nicht mein Traum, sie war mein Ziel. Ich wollte, seit ich mit 15 ein Praktikum gemacht hatte, unbedingt selbst eine Buchhandlung haben. Ich ging erstmal weiter zur Schule und in die Welt hinaus. Verlagslehre, Studium der Geisteswissenschaften. Aber mit 30 war ich zurück in Ostwestfalen. Wild entschlossen! Ich habe in Borgholzhausen eine Buchhandlung aufgebaut und dort ein paar Preise gewonnen. Letzten Sommer bin ich nach Rietberg umgezogen. Das ist 40 Kilometer weiter südlich, aber noch im selben Landkreis. Für die Kund*innen bin ich »unsere Frau Bergmann«. Eine von uns, meine Buchhändlerin, zu der ich gehe, wenn ich ein Buch gebrauche. Darauf bin ich stolz. Und auch, wie ich die Buchhandlung finanziert habe. Wenn ich investieren wollte, habe ich ein Buch geschrieben. Wirklich ein Klischee: Sie sitzt im Bücherladen und schreibt Romane. Der nächste handelt davon, wie eine Buchhändlerin sich in den 60er Jahren gegen die Männer durchsetzt. Ein studiertes Fräulein, wo kommt man da denn hin? Es ist nicht autobiografisch, speist sich aber aus dem eigenen Erleben. Ostwestfalen ist super, nur in den Geschlechterrollen ein halbes Jahrhundert hinterher.
Martina Bergmann empfiehlt:
Nicole Seifert: »Einige Herren sagten etwas dazu. Die Autorinnen der
Gruppe 47«
Als ich zur Schule ging, war Hans Werner Richter schon der mit dem »Friedrich« und die Bundesrepublik ein erfolgreiches Land mit D-Mark und Weltmeistertiteln. Während des Studiums schwante mir, dass es womöglich nicht ganz so übersichtlich zugegangen war. Aber die Gruppe 47 blieb eigenartig unantastbar. Verschiedene Briefwechsel (Bachmann, Frisch, Celan) und leidige Diskussionen über Mitgliedschaften (Jens, Grass) später weiß man: Viele Lügen und noch mehr Schweigen. Außerdem frage ich mich heute, wieso niemandem auffiel, dass es fast immer nur um Männer ging. Die Hamburger Literaturwissenschaftlerin Dr. Nicole Seifert legt nun ein weiteres Mosaik auf dem geistigen Nierentisch frei. Sie portraitiert die Frauen, die auch zur Gruppe 47 gehörten – Ruth Rehmann, Ingrid Bachér, Ingeborg Drewitz, Helga M. Novak, um nur ein paar zu nennen. Sie bekamen Buchverträge, verdienten Geld, gehörten auf ihre Weise dazu. Aber um welchen Preis? In Seiferts materialreicher und wirklich gut lesbarer Studie erfahren wir ein ums andere Mal, wie schwierig es für Frauen ist, sich literarisch Gehör zu verschaffen. Texte der Öffentlichkeit preiszugeben, ist nie leicht. Aber schreibende Frauen werden immer auch für ihre Körper mit bewertet. Es ist noch heute nicht toll, jedoch im Vergleich zu damals fast ein Spaziergang. Wenn Sie auf die feministische Diskussion keine Lust haben, lesen Sie das Buch bitte trotzdem. Sie werden großartige Literatur entdecken. Eine starke Empfehlung!
Nicole Seifert: »Einige Herren sagten etwas dazu«. Die Autorinnen der Gruppe 47, Kiepenheuer und Witsch 2024, 341 Seiten, 24 Euro
Nicole Seifert liest am 28. März in der Stadtbibliothek Köln