Beim Stichwort »Archäologie« denken die meisten an antike Denkmäler, an griechische Tempelruinen oder römische Marmorskulpturen, die bei Ausgrabungen zutage gefördert werden. Eine verkürzte Sicht der Dinge, wie das LWL-Museum für Archäologie und Kultur in Herne mit seiner aktuellen Sonderschau vor Augen führt. »Modern Times. Archäologische Funde der Moderne und ihre Geschichten« vereint Objekte, deren Entstehungszeit zwischen 1800 und 2000 liegt. »Altertümer« also, die noch ziemlich jung sind.
Und ziemlich prosaisch. Was gemeinhin als kostbar angesehen wird, Kunst oder Schmuck beispielsweise, das spielt in Herne keine Rolle. Die hier zur Schau gestellten materiellen Hinterlassenschaften taugen nicht fürs Auktionshaus, wohl aber als erstklassiges Anschauungsmaterial für den Geschichtsunterricht.
Schelmische Zwerge, die einen Porzellanaufsatz bevölkern, eine verkorkte Flasche ungewissen Inhalts oder Elektrozubehör, mutmaßlich aus den 1970er Jahren – diese und andere niedrigschwellige Exponate zeugen von der Archäologie des Alltags, die in Herne in sechs Kategorien unterteilt worden sind: Innovation, Gefühl, Zerstörung, Besonderes, Zweck und Erinnerung, so heißen die verbalen Schubladen, in die einsortiert wurde, was sich nur schwer auf einen Nenner bringen lässt. Museumsleiterin Doreen Mölders erläutert das Konzept: »Der Verweis zur Akteur-Netzwerk-Theorie des Philosophen Bruno Latour ist mit dieser Gliederung und Gestaltung durchaus gewollt.«
Auch Schrott kann eine Geschichte erzählen
Leichter fassbar bringt Georg Lunemann, Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), die Idee des Ganzen auf den Punkt: »Auch Schrott, Schutt und Müll können eine Geschichte erzählen.« Die im LWL-Museum für Archäologie und Kultur präsentierten Gegenstände decken einen Zeitraum ab, der vom Beginn der Industrialisierung um 1800 bis zur Jahrtausendwende reicht.
Zum einen stammen die rund 100 Fundstücke aus Westfalen, zum anderen aus Finnland, Frankreich, Belgien, Österreich und den USA. Überbleibsel vom legendären Woodstock-Festival kann man vor Ort ebenso unter die Lupe nehmen wie Relikte aus einem Videospiele-Grab in der Wüste New Mexicos. »Modern Times« hat also internationalen Zuschnitt.
Zudem setzt die Schau Maßstäbe in Sachen nachhaltige Ausstellungsgestaltung. Als Teil des Programms »Zero – Klimaneutrale Kunst- und Kulturprojekte«, für das die Kulturstiftung des Bundes insgesamt acht Millionen Euro zur Verfügung gestellt hat, macht das Projekt in Herne vor, wie Museen bei ihrer Ausstellungsplanung Ressourcen schonen können. Beispielsweise indem umweltfreundliche und fürs Recycling geeignete Produkte für Gestaltung und Grafik verwendet werden. Oder, indem man den »ökologischen Fußabdruck« der Ausstellung akribisch vermisst. »Denn nur, wenn wir wissen, in welchem Bereich wir welche Emissionen verursachen, können wir diese auch reduzieren«, so Doreen Mölders.
Flankiert wird »Modern Times« von vier Studioausstellungen, die über wichtige Fundplätze der Moderne in Westfalen Aufschluss geben: Dazu gehören das Kriegsgefangenenlager Stalag 326 in Schloss Holte-Stukenbrock (5. April bis 26. Mai 2024) sowie die Steinhauser Hütte in Witten (21. Juni bis 11. August 2024). Eine App sorgt dafür, dass die Besucher*innen ihr Wissen vertiefen können. Geschichte durch Geschichten lernen – auch das ist ein nachhaltiges Konzept.
»Modern Times. Archäologische Funde der Moderne und ihre Geschichten«, LWL-Museum für Archäologie und Kultur, Herne, bis 18. August 2024