Ein Flirt mit der Linse. Die schöne Frau beugt sich vor, schaut direkt hinein. Sie scheint einer rabenschwarzen Rüschenblüte zu entwachsen, die sich üppig um ihre Schultern schmiegt. Schwer zu sagen, wer oder was in Walde Huths Foto die Hauptrolle spielt: das weltberühmte Model oder sein extravagantes Outfit. Außer Frage steht dagegen, dass die Fotografin ganz genau weiß, wie man Haute Couture und ihre Träger*innen inszeniert. In diesem Fall ist es Lucky, »la reine des mannequins«, die sich 1955 im berühmten Cocktailkleid von Christian Dior präsentiert. Walde Huth berichtet noch Jahrzehnte später im Interview sehr lebhaft und wortreich, wie sie die »Königin der Mannequins« einst dazu gebracht habe, ihre Arme hinter dem Rücken zu verstecken. Auf dass die Rüschenpracht möglichst ungestört ihre Wirkung entfalten möge.
Walde Huth war eine Meisterin, wenn es darum ging, Stoffe mit der Kamera abzutasten – ob Samt oder Seide, gerafft und gefältelt oder glatt um die Hüften gespannt wie Luckys Cocktailkleid. Die textilen Materialien und Oberflächen in Szene zu setzen, das war Huths Stärke. Und die 1950er Jahre in Paris, Florenz, Rom waren ihre große Zeit. Unterwegs im Auftrag von Magazinen wie der Frankfurter Illustrierten oder der Eleganten Welt, brachte sie damals französischen Schick von Dior & Co in die deutsche Wirtschaftswunderwelt.
Wenn heute noch etwas von der 1923 in Stuttgart geborenen Fotografin in Erinnerung ist, dann sind es vor allem jene Modefotos. Entstanden meist im schmalen Zeitfenster zwischen dem Pressetermin am Morgen und der abendlichen Modenschau. Wenn Huth die Topmodels auf die Straßen und Plätze entführte oder unter einer Seine-Brücke so in Pose brachte, dass ihre schlanke Silhouette perfekt in Einklang stand mit der Wölbung des Brücken-Bogens.
Die Ausstellung jetzt im Museum Ludwig bietet einige solch wohlkalkulierter Hingucker aus der Pariser Modewelt. Doch will die Kölner Kuratorin Miriam Szwast mehr zeigen – die ganze Walde Huth. Mit ihrem Werk, das der kleine Fotoraum des Museums kaum zu fassen vermag. Das im Faible für Textiles aber zumindest einen roten Faden findet. Er zieht sich von den etwas hölzernen Werbeaufnahmen, die Huth in jungen Jahren für die schwäbische Samtfabrik Gottlieb Ott & Sohn anfertigte, bis zu freien Fotos, entstanden im Ferienhaus in Ligurien, wo die Fotografin von Licht und Wind umspielte Vorhänge als Motive entdeckte.
»Ziemlich spektakulär« seien jene späteren, rein künstlerischen Arbeiten, so Szwast. Sie müssten erst noch richtig entdeckt und aufgearbeitet werden, wie so manches in Huths Leben und Werk. Die Ausstellung soll einen Anfang machen, eine Annäherung und eine Einladung sein, Erinnerungen und Wissen zu teilen, Forschungen aufzunehmen. Schöpfen kann sie aus den Huth-Beständen im eigenen Haus, die seit 2017 stark gewachsen sind. Damals erhielt das Museum rund 200 Werke der Fotografin zum Geschenk, hinzu kommen allerhand Archivalien. Was umso erfreulicher ist, zumal Walde Huth zwar in Stuttgart geboren ist, aber die längste Zeit ihres Lebens in Köln verbracht hat.
Nach der Heirat war sie hergezogen und hatte bald an der Seite des angesehenen Ehemanns und Kollegen Karl Hugo Schmölz ihren Platz in der hiesigen High Society. Man ließ sich im noblen Stadtteil Marienburg nieder. Das schick-schlichte Haus Am Südpark 45 hatte der Kölner Architekt Hanz Schilling eigens auf das Paar zugeschnitten mit hellen Atelierräumen und einem Fotolabor im Souterrain. Auf einem von Walde Huths Bildern sieht man das Heim 1963 von Autoscheinwerfern stimmungsvoll angestrahlt im verschneiten Garten liegen. Ein hübsches Karten-Motiv für den Weihnachtsgruß an die Kundschaft.
Geschäftlich lief es blendend im Studio schmölz + huth, das die beiden gemeinsam betrieben. Rund ein Jahrzehnt zählte das Paar zur Crème der internationalen Werbefotografie. Zwar firmierte man zusammen, arbeitete aber meistens getrennt: Er fotografierte Industriedesign, richtete für Audi, Henkel, Daimler und DuMont seine Kamera auf Autos, Bücher, Waschmittel. Während sie sich weiter an Textiles hielt – Mode und Markenartikel wie Einhorn-Hemden oder Strümpfe der Firma Götz.
Selten ergaben sich Kooperationen wie beim Teppichhersteller Tretford, der schmölz + huth im Doppelpack engagierte. Während der eine die Ausstattung moderner Büros mit neuem Teppich und Tapeten fotografisch dokumentierte, machte die andere das Betreten der Sisalböden zum Thema ihrer Bilder und ließ sich dazu einiges einfallen. »Wir haben zum Beispiel Strümpfe fotografiert«, so erinnert sich Huths Assistentin Marlis Imhoff an ein Shooting von 1968. Alle Mitarbeiter*innen habe Huth dazu her zitiert und ihre Beine inspiziert. Dann wurden sie in Strümpfe gesteckt. Das fotografische Ergebnis zeigt ein buntes Bein-Getümmel in den typischen Farben der Sixties (unser Cover). Es belebt den beigefarbenen Tretford-Teppichboden ungemein – stiehlt dem Werbeobjekt damit allerdings beinahe die Schau.
Die bunten Strümpfe lassen dabei an ein eher schattiges Kapitel der Vita denken: Sehr früh schon hatte Walde Huth Erfahrungen mit der Farbfotografie sammeln können. Gleich nach dem Studium in der »Geheimabteilung« des Agfa-Filmwerks. Hier war sie im Auftrag des NS-Regimes unter anderem damit beschäftigt, Kulturgut zu erfassen, das durch den Krieg gefährdet war. In einem Interview erzählte Huth später von ihrer Rolle als »Vertrauensperson« mit geschäftlichen Drähten ins Führerhauptquartier. Eine nachträgliche Distanzierung vom Nationalsozialismus sei ausgeblieben, so stellte der Fotohistoriker Rolf Sachsse fest. Was ihre politische Haltung angeht, hielt Walde Huth sich mit Äußerungen zurück.
Über die künstlerische Seite ihrer Arbeiten sprach sie dagegen gern und ausführlich. »Schon immer fand ich es reizvoll, Stoffliches in Wesenhaftes zu verwandeln«, so stellte die Fotografin fest und bezog sich dabei auch auf jene Gardinen-Fotos, die ab 1979 in ihrem Ferienhaus im ligurischen Seborga entstanden sind, inspiriert durch das Spiel des Lichts in den durch eine leichte Abendbrise bewegten Gardinen. Es war der Beginn einer neuen, rein künstlerischen Werkgruppe, die sich mehr und mehr vom Gegenstand befreite – nicht nur in Fotografien, sondern auch in Super-8-Filmen.
Die Ausstellung klingt aus mit einer Serie, die 1986 im und rund um das Museum Ludwig entstanden ist. Karl Hugo Schmölz hatte kurz vor seinem Tod den Auftrag erhalten, das damals neue Museum am Rhein abzulichten. Und Huth führte den Job zu Ende mit Bildern, die eine ganz andere Sprache sprechen als die sachlich scharfen Foto-Dokumente ihres Ehemanns. Farbig zeigt sie den backsteinroten Bau, schaut dabei auf das Detail, auf Oberflächen. Oder auch auf eine beschlagene von Tropfen besetzte Fensterscheibe, die das Dahinter kaum mehr erkennen lässt.
Für Huth blieb der Erfolg auf dem Kunstmarkt allerdings aus. Und bald war die einstige Millionärin gezwungen, das Haus in Italien und später auch die Villa in Marienburg zu verkaufen. Allein das Wohnrecht im Souterrain konnte sie sich sichern. Die gefeierte Lichtbildnerin musste umziehen in ihre eigene Dunkelkammer, wo sie 2011 bei einem Schwelbrand zu Tode kam.
»Walde Huth. Material und Mode«
Museum Ludwig, Köln
Bis 3. März