Margareta Geertruida Zelle war schon zu Lebzeiten ein Mythos, den sie selbst kreiert hatte. Als exotische Tänzerin mit geheimnisvoller Aura gab sich die Niederländerin den Künstlernamen Mata Hari (1867-1917) und wurde mit ihrer erotischen Choreografie zur Ikone der Belle Epoque. Der Sturz war tief: Hinrichtung wegen Doppelspionage und Hochverrats durch ein Erschießungskommando in Vincennes/Frankreich. War die Abenteurerin tatsächlich eine Doppelagentin oder nur eine früh emanzipierte, lebenshungrige Frau und ein politisches Bauernopfer?
Robert North, Ballettchef am Theater Krefeld Mönchengladbach, hat das Sujet für den Tanz entdeckt. Ihn interessiert der Mensch hinter der schillernden Künstlerin. Dabei entspricht sein neues Handlungsballett den Erkenntnissen der geheimdienstlichen, britischen Dokumente, die seit 1999 öffentlich zugänglich sind. North (78) ist ein bemerkenswertes Spätwerk gelungen.
Das Leben der Tochter eines reichen Kaufmanns zieht in kurzen Schnitten vorüber – überhaupt ist die Produktion in Machart und Ästhetik vom Kino inspiriert. Da ist die Affäre mit dem Schulleiter im weißen Kittelkleidchen in früher Jugend, gefolgt von zahllosen Liebschaften. Margareta heiratet einen Kolonialoffizier und geht mit ihm nach Südostasien. Dort erlernt sie Tempeltänze. Zurück in Europa, wird das Paar geschieden. Margareta Geertruida Zelle kreiert auf Grundlage dieser exotischen Bewegungen ein Solo, in dem sie fast nackt auftritt – als Sensation ein Geschäftsmodell.
Das Leben als Festmahl
Teresa Levrini verkörpert diese exzentrische Figur in einem Kostüm, das dem Original nachempfunden ist: ein mit Juwelen besetzter rot-goldener Büstenhalter, geschlitzter Rock, im Haar eine Tiara. Levrini leuchtet in ihrer Rolle als Abenteurerin – allerdings ohne die legendäre Verruchtheit. Sie nimmt das Leben als ein Festmahl und bedient sich ein bisschen naiv.
Mata Hari verkehrt mit Diplomaten und Offizieren, bereist Europa. Die kluge Kulisse (Bühne und Kostüme: Luisa Spinatelli) mit einer Rampe im Hintergrund ermöglicht es, Ortswechsel und gleichzeitige Handlungen zu zeigen. Dazu verorten Projektionen historischer Fotos die Lebensstationen. Im Ersten Weltkrieg lässt die Abenteurerin sich aus Geldnot vom deutschen Nachrichtendienst anheuern und gerät in die Intrigen der Großmächte – dabei ist sie nur ein kleiner Fisch.
Mit leichter Hand versteht North es, dieses bewegte Leben spannungsreich zu erzählen: ein süffiges Spektakel in epochegetreuer Ausstattung, das Christopher Bensteads Auftragsmusik mit ihren reichen Klangfarben untermalt. Unter der sicheren musikalischen Leitung von Sebastian Engel tragen die Niederrheinischen Symphoniker die Protagonistin durch ihr Schicksal. Getanzt wird im typischen North-Duktus aus Modern Dance, Klassik und – in einigen Szenen – Kathak-Elementen und Gesellschaftstänzen. Wobei es im zweiten Teil zu einigen Wiederholungen kommt. Ein Schwachpunkt sind die Männer-Ensembles.
Brillant inszeniert sind die dramatischen Wendepunkte. So der Ausbruch des Ersten Weltkriegs: Mata Hari sitzt in ausgelassener Gesellschaft zu Tisch, als die Bewegungen in stop motion verfallen. Vier Apokalyptische Reiter à la Dürer brechen zu fast strawinskyartigen Dissonanzen hinter dem Vorhang hervor – von der erhöhten, zweiten Ebene landen sie auf dem Tisch. Schockstarre: Der Vorhang gibt die historische Fotografie eines Schützengrabens frei.
Von nun an verfolgen zwei Spione die Protagonistin. Der Chefchoreograf erlaubt sich einen Spaß: Die Verfolger winden und krümmen sich als hinreißende Parodie der Detektive in dem Trickfilm »Der rosarote Panther«.
Wie in einem film noir, in nüchternem Schwarz-Weiß, vollzieht sich Mata Haris Schicksal. Die Hinrichtungsszene ist berührend in ihrer Stille.
23. Januar, 3. Februar, 10. und 27. März, 5. April
Theater Krefeld