»Lieber Vater«, schrieb Johann Heitger am 25. Oktober 1928 aus seinem Versteck in einer Kölner Fabrikantenvilla. »Die Zeit eilt. Sie kommen schon.« Die Lage für ihn ist denkbar schlecht: Mehrere Stunden hat er auf dem eiskalten Dach eines Anwesens ausgeharrt. Doch nun ist das Zimmer, in das er geflüchtet ist, von Polizisten umstellt. Türen werden aufgesprengt. Handgranaten geworfen. Aber noch immer will einer der meistgesuchten Raubmörder der Weimarer Republik nicht aufgeben. Atemlos schreibt er Abschiedsbrief um Abschiedsbrief – und erschießt aus dem Hinterhalt einen Polizisten nach dem anderen.
True Crime ist das Genre, in dem Anselm Weyer unterwegs ist. »Wie die ruchlosen Brüder Heitger und ihre Spießgesellen eine Blutspur durch halb Deutschland zogen« hat er seinen Krimi genannt, der aus der Artikelserie »Babylon Köln« in der Kölnischen Rundschau entstanden ist. Und die unglaubliche Geschichte der Brüder Heitger aus Essen und ihrer Komplizen erzählt – spektakuläre Überfälle, Bankraube, Messerstechereien, Einbrüche, Hinterhalte und Fluchten durch halb Deutschland und ein anschließender Gerichtsprozess inklusive. Das klingt allerdings temporeicher, als es in weiten Teilen des Buches ist. Das Lokalkolorit in Weyers Krimi, ja, gerade die fast schon banalen Viten, die durchschnittlichen Lebensläufe seiner Charaktere, die im krassen Gegensatz zu ihren spektakulären Delikten stehen, machen den Plot zweifellos interessant. Aber im Bemühen, dem damaligen Geschehen als Ich-Erzähler möglichst nahe zu kommen, bleiben Weyers Sprache, die Dramaturgie und der Erzählfluss fast zu sehr an den damaligen Quellen wie Zeitungsartikeln, Gerichtsakten und Polizeiprotokollen hängen. Erst zum Schluss nimmt sein Historienkrimi an Fahrt auf – im wahrsten Sinne des Wortes. Und Johann Heitgers »Blutspur« endet nach einer spektakulären Verfolgungsjagd. Allerdings im Krankenhaus.
Anselm Weyer: Wie die ruchlosen Brüder Heitger und ihre Spießgesellen eine Blutspur durch halb Deutschland zogen, Greven Verlag, 234 Seiten, 20 Euro