Lillith Kreiß bezeichnet sich selbst als Ressourcenmediatorin. Sie hat in Aachen und Darmstadt Architekur studiert, als Planerin gearbeitet und die »Bauwende« als Sprecherin bei Architects for Future und Projektmanagerin bei »ReBau«, der sogenannten »Zukunftsagentur« im Rheinischen Revier, vorangetrieben. Seit diesem Jahr leitet sie das »UmBauLabor« bei der Initiative Baukultur NRW.
»Die Bauindustrie ist ein Wirtschaftszweig, der vor großen Herausforderungen steht. Denn: Wir müssen unseren Einfluss auf den menschengemachten Klimawandel reduzieren. Eine zentrale Frage in der Architektur ist daher gerade: Erhalte ich ein Gebäude oder erhalte ich es nicht? Alle Rohmaterialien sind ressourcenintensiv und verbrauchen sowohl in der Gewinnung als auch im Transport viel graue Energie. In der Planung gibt es aber noch keine Materialbepreisung, die Ressourcen und graue Energie miteinbezieht. Zudem sind Techniken im Umgang mit Bestand nicht allen bekannt und wenig erprobt, die Handwerker*innen noch nicht so »drin«. Und in der Baubranche gibt es große Unsicherheiten. Alle sind sehr darauf bedacht, dass keine Mehrkosten, dass keine zusätzlichen Zeitaufwände entstehen. Ein großer Teil von ressourcenschonendem Bauen ist aber aktuell noch zeitaufwendig. Es erfordert, sehr aufmerksam hinzuschauen, Dinge nochmal zu überdenken, Material nochmal zu prüfen – da wagen sich nur Wenige ans Experiment, besonders jetzt, da die Baubranche leidet, weil alles teurer wird. In den Büros gehen die Leute auf Kurzarbeit oder werden gekündigt, weil man nicht mehr so viele Projekte reinbekommt. Aber genau das ist der Moment, als Planer*in umzudenken. Darüber nachzudenken, was für ein Merkmal man sich setzen kann – etwa, in dem man mit Sekundärmaterialien arbeitet, Rückbauexpert*in wird, lernt, wie man Bestand flexibel umgestaltet, so dass darin neue Wohnformen entstehen können. Darüber hinaus muss es aber wirtschaftlich und auch politisch Entscheidungen geben. Man muss nicht unbedingt die Vergabeordnung ändern, denn das müsste auf EU-Ebene geschehen und würde sehr lange dauern. Aber man kann schon anders ausschreiben. Man könnte etwa an Stellen, die nicht für Statik oder Brandschutz ausschlaggebend sind, einfach mit Sekundärmaterial bauen. Überhaupt werden Bestandsgebäude immer wichtiger. Daher mein Appell: Schätzt euren Bestand wert, guckt, wie ihr damit weiterarbeiten könnt, denn in Zukunft werden wir weniger Rohstoffe direkt aus der Natur nehmen können. Wir müssen lernen, in den Entwürfen mit dem Vorhandenen umzugehen und daraus Kreativität schöpfen. Frei nach dem Prinzip: Form Follows Material. Alles andere können wir uns nicht mehr leisten.«
Aufgezeichnet von Vera Lisakowski