… ist der 9. November. An diesem Tag, an dem die Nationalsozialisten vor 85 Jahren die Große Synagoge an der Kasernenstraße in Düsseldorf zerstört haben, übergebe ich meine Installation »missing link_« der Öffentlichkeit – sie macht sichtbar, was fehlt.
Bislang erinnert an der Kasernenstraße ein schlichter Gedenkstein an die Synagoge und ihre Zerstörung. Ich wohne in der Nähe und komme oft vorbei. Im vergangenen Jahr habe ich beobachtet, wie ein Hund seine Notdurft dort verrichtete. Immer wieder ist der Ort verschmutzt, er ist unwürdig – ein 1,5 mal 4 Meter großer Stein als Platzhalter einer Synagoge für 5000 Gemeindemitglieder.
Natürlich könnte man den Stein immer wieder putzen. Aber das finde ich zu wenig. Trotz des Steins wissen viele Menschen bis heute nicht, dass dort die Synagoge stand. Dabei hatten die Juden dort ihren zentralen Platz, in der Mitte der Gesellschaft! Ich wollte nicht nur den Ort markieren, sondern ihn auch inhaltlich füllen.
Meine Installation macht die Synagoge wieder ein Stück sichtbar, direkt auf der Fassade des Gebäudes, das heute an der Stelle steht, und auch auf der Straße, die mit einem breiten weißen Lichtband die damalige Dimension erahnen lässt. Die Idee ist, der Stadt über die Licht-Installation hinaus einen würdigeren Ort für Erinnerung zu bieten.
In einem Gespräch mit einem unserer Söhne kam letztens die Frage auf: Warum beschäftigen wir uns mehr mit den Toten als mit jenen, mit denen wir heute zusammenleben? Da fühlte ich mich ertappt. Was tue ich aktiv fürs Miteinander? Ich möchte in Düsseldorf nicht nur das Gedenken vergrößern, sondern den Ort zum Zusammenleben weiterentwickeln. Ein Raum in dem angestrahlten Gebäude – genau dort, wo früher die jüdische Mädchenschule stand – soll zu einem bleibenden Begegnungsort entwickelt werden. Dafür arbeite ich mit Schülern des Albert-Einstein-Gymnasiums in Düsseldorf zusammen.
Zusätzlich entwickeln wir eine App, in der man zum Beispiel erfährt, dass in der Nacht auf den 10. November 1938 die Feuerwehr nicht kam, weil es einen Befehl gab, nicht einzugreifen. Oder dass der Architekt der Synagoge von der jüdischen Gemeinde ausgewählt worden war, weil er bereits viele katholische Kirchen gebaut hatte – man wollte sich auf diese Weise mit der christlichen Gesellschaft verbinden. Die Jüdische Gemeinde Düsseldorf hat mein Projekt von Anfang an unterstützt.
Meine künstlerisch sichtbare Beschäftigung mit dem jüdischen Leben in Deutschland nach der Shoah begann 1994 mit der Synagoge Stommeln in Pulheim, die von den Pogromen verschont worden war. Dort gab es seit 1991 künstlerische Projekte und eine Debatte um Erinnerungskultur und zeitgenössische Kunst, die mich sehr interessierte. Dort habe ich das Projekt ‚refraction house‘ realisiert – das hat mein Leben verändert. Ich erhielt Drohbriefe und merkte erstmals: Wenn man sich für dieses Thema engagiert, gerät man in den Fokus von Leuten, die mit Hass und Ausgrenzung reagieren.
Es folgten weitere Projekte, unter anderem auf Einladung des Goethe-Instituts im Jüdischen Viertel in Montevideo in Uruguay. Aktuell werden Goethe-Institute geschlossen, auch das treibt mich um. Die Idee, über Kunst und Kultur gesellschaftlich Position zu beziehen, ist gefährdet – und wie notwendig das gerade jetzt ist, zeigt die Entwicklung im Nahen Osten.
Nach über 80 Jahren geht es nicht darum, mit dem Zeigefinger zu belehren, sondern über das Zusammenleben miteinander heute nachzudenken. Der Schriftsteller Navid Kermani hat es treffend so formuliert: »Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen.«
Aufgezeichnet von Katrin Pinetzki
Name: Mischa Kuball
Alter: 64
Beruf: Konzeptkünstler, Professor für Public Art an der Kunsthochschule für Medien,
Köln
Wohnort: Düsseldorf
Seit 1977 arbeitet Mischa Kuball im öffentlichen Raum und erforscht diesen mit dem Medium Licht, indem er Wahrzeichen oder die (Architektur-)Geschichte eines Ortes betont oder auch neu kodiert. 1994 machte er die im Krieg unzerstört gebliebene Synagoge in Stommeln (Pulheim) zur Lichtskulptur (»refraction house«). Für das Jüdische Museum Berlin entwickelte er 2017 bis 2019 eine Licht- und Klanginstallation. In einem ehemaligen jüdischen Viertel in Montevideo markierte er verlassene Häuser mit grünem Licht (»greenlight«, 1999).