Frauen zu misshandeln, ist das Hobby der Männergesellschaft des Herzogtums Mantua. Wenn die amoralische adlige Bande ihre derben Späße getrieben haben, sitzt das Opfer im Rollstuhl. Eine andere vergewaltigte Frau betrauert ein totes Baby. Mit krassen Bildern beginnt Jürgen R. Weber seine Inszenierung von Verdis »Rigoletto« in Bonn.
Schon zu seiner Entstehung um 1850 sorgte die Oper für politischen Zunder. Grundlage des Librettos ist ein Drama von Victor Hugo, das in Frankreich verboten war. Verdi verlegte den Spielort in das Herzogtum Mantua, das es Mitte des 19. Jahrhunderts schon längst nicht mehr gab. Er wollte unbedingt die Geschichte des buckligen Hofnarren Rigoletto erzählen, dessen Tochter vom manisch frauenverbrauchenden Herzog und seinem dekadenten Hof verführt und missbraucht wird. Rigoletto ist Täter und Opfer zugleich, ein Entertainer der Bestialität und ein liebender Vater, der in tiefster Verzweiflung versinkt.
In Wuppertal hat der russische Regisseur Timofey Kulyabin das Stück vor einigen Jahren in eine osteuropäische Diktatur verlegt. Jürgen R. Weber sucht in Bonn auf den ersten Blick weniger das tagespolitische Gleichnis, spitzt aber Verdis Oper ebenfalls zu. Die geilen Grafen tragen Frauenkleider, wirken fast wie eine queere Karnevalsgruppe. Doch obwohl schwungvoll-heitere Melodien aus dem Orchestergraben tönen, sind sie innerlich völlig verroht. Sie suchen nach Gelegenheiten, anderen etwas anzutun. Das Gerücht, der bucklige Rigoletto habe eine wunderschöne Frau, die er in seinem Haus verbirgt, kommt da gerade recht. Die Erkenntnis, dass es seine Tochter ist, lässt die Bande nur kurz innehalten.
Gilda ist gehbehindert. Das ist ein klarer Bruch mit dem Bild einer strahlend schönen Opernheldin und eben deshalb eine großartige Idee. Denn Rigoletto hält Gilda gefangen, aus Liebe, aus Sorge, so redet er sich ein. Und wenn man sich die toxischen Typen aus seiner Umgebung anschaut, lässt sich das sogar nachempfinden. Aber Gilda hat keine Chance, ein eigenständiges Leben zu führen. Da sind die Krücken ein passendes Bild. Den Manipulationen des Herzogs kann Gilda nichts entgegensetzen, weil sie niemand darauf vorbereitet hat.
Verstecken hilft nicht. Den derben Comedy-Narren zu spielen, ebenso wenig. Die Bonner »Rigoletto«-Aufführung stellt die Frage, wie man sich in einer in Gewalt versinkenden Welt überhaupt noch retten kann. In Hank Irwin Kittels Bühnenbild bewegen sich die Wände, nicht einmal auf die Kulissen kann man sich verlassen. Kleine Bühnen, umrahmt wie Gemälde, werden über die Spielfläche geschoben. Die Mächtigen stellen ihre eigene Boshaftigkeit lüstern aus, auch halbnackte, behinderte Männer – vielleicht Kriegsversehrte – haben ihren Platz in der Freakshow der frostigen Herzen.
Die Emotionalität lebt in der Musik. Giorgos Kanaris ist ein wuchtiger und zerrissener Rigoletto. Als in einer Arie eine zarte Flöte die Melodie übernimmt, verzerrt sich sein Gesicht, als hätte er einen Tinnitus. Ebenso überragend singt Anastasiya Taratorkina die Gilda, mit kleinen Schärfen in den Höhen, die ausgezeichnet zur Inszenierung passen. Und Ioan Hotea stellt mit eleganter Tenorsüße die boshaften Abgründe des Herzogs klar heraus. Während Daniel Johannes Mayr das Beethoven Orchester mit viel dramatischem Gespür leitet. Viele Buhrufe gab es am Schluss für die Inszenierung, aber der Bonner »Rigoletto« ist ebenso auf- und anregend, eine packende Neudeutung.
3. und 10. November, 26. und 30. Dezember
Oper Bonn