2008 eröffnete Bildhauer Tony Cragg in Wuppertal den Skulpturenpark Waldfrieden. 15 Jahre später zieht der Künstler-Kurator Bilanz. Auch Mischa Kuball ist als Geburtstagsgast geladen und bringt Spiegel- und Lichtinstallationen mit.
Reichtum und Vielfalt der Kunstlandschaft in NRW bezeugen nicht zuletzt die Skulpturenparks, die hier zu entdecken sind. Moyland, Duisburg, Düsseldorf, Köln, Leverkusen, Mönchengladbach, Hombroich – diese Auflistung von Orten, wo sich zeitgenössische Kunst und Natur die Hand reichen, ist nicht einmal vollständig. Wem die Krone unter den künstlerisch veredelten Grünflächen in Nordrhein-Westfalen gebührt, darüber besteht bei den meisten Kunstfreunden Einigkeit: Der Skulpturenpark Waldfrieden, den der Bildhauer Tony Cragg 2008 in Wuppertal eröffnete, hat Maßstäbe gesetzt, was die Symbiose von Gestaltetem und Gewachsenem angeht.
Rund um die idyllisch gelegene Villa, die der Lackunternehmer Kurt Herberts zwischen 1947 und 1950 vom Wuppertaler Architekten Franz Krause (sein Markenzeichen war die »gefühlte Bauweise«) errichten ließ, ist ein einzigartiges Kunst-Biotop entstanden. Für Fans zeitgenössischer Skulptur beinahe ein Paradies auf Erden. Craggs Garten Eden vereint mehr als 50 Baum- und Straucharten aus aller Welt mit Plastiken – sie stammen vom Künstler selbst und von Kolleg*innen, die er schätzt. Mithin gleicht der Rundgang durch das knapp 15 Hektar große Areal mit Hanglage einem Crashkurs in Sachen moderner Skulptur. Über dem Tal der Wupper begrüßen den Gast Arbeiten von Richard Deacon, Bogomir Ecker, Eva Hild, Markus Lüpertz, Henry Moore, Jaume Plensa, Thomas Virnich oder Erwin Wurm. Womit noch nicht alle Waldbewohner*innen genannt sind.
Zum 15-jährigen Jubiläum des Parks zeigt die Cragg Foundation die Sonderausstellung »Home Game«. Ein Heimspiel, das den vielen Facetten des 1949 in Liverpool geborenen Künstlers eine weitere hinzufügt: Cragg, der seit 1977 in Wuppertal lebt, in den vergangenen knapp fünf Jahrzehnten eine rekordverdächtige Anzahl von Ausstellungen und Projekten im öffentlichen Raum verwirklichte und sich zudem als langjähriger Rektor der Kunstakademie Düsseldorf für den Nachwuchs engagierte – er ist auch noch Sammler. Hätte man sich angesichts der beeindruckenden Vernetzung von Tony Cragg beinahe denken können.
Jetzt ist es amtlich: Durch Ankäufe und Schenkungen ist in den vergangenen 15 Jahren eine Kunstsammlung entstanden, die bis zum 8. Oktober in den drei weitgehend gläsernen Pavillons des Parks präsentiert wird. In der unteren Ausstellungshalle bilden Klaus Rinkes strenge, rund ums Wasser kreisende Installation »Insel« und Stephan Balkenhols holzgeschnitzter Satyr, der sich lustvoll dahinräkelt, ein kontrastreiches Pärchen. An den Wänden assistieren Werke von Gilbert & George und Bruce Naumann. Gegensätze ziehen sich an, dieses Motto hat Tony Cragg offenbar auch dem Arrangement in der mittleren Ausstellungshalle zugrunde gelegt; präsentiert werden hier unter anderem tänzerische Holzfiguren von Luise Kimme, eine futuristische Plastik von Anne und Patrick Poirier sowie eine »Geburt«-Darstellung von Andreas Schmitten.
Blickfang in der oberen Ausstellungshalle ist vor allem Richard Longs »Maritime Spirale«: ein 2008 entstandenes kreisrundes Labyrinth, das der britische Land-Art-Künstler mit unzähligen Steinen anlegte. Auch hier inszeniert Tony Cragg eine Ausstellungssituation, die zusammenbringt, was in herkömmlichen Darstellungen zur modernen Skulptur nicht zusammengehört: Longs erdenschwere Bodenplastik setzt der Kurator zwei federleichte Plastiken von Otto Boll und Norbert Kricke entgegen, Werke, die in ihrer Linearität beinahe immateriell wirken.
Nicht nur in den Ausstellungshallen, auch im Park selbst entfaltet sich die »Home Game«-Präsentation. Hier wurden Arbeiten von Georg Baselitz, Erwin Wurm und Not Vital aufgestellt. Außerdem Mischa Kuballs kinetische Installation »rotating_mirror_horizontal« – sie dient gleichsam als Warmup für die Soloschau des Düsseldorfer Lichtkünstlers, die ab 21. Oktober hier zu erleben ist. Zwei der Ausstellungshallen wird Kuball mit eigens für den Ort konzipierten Licht- und Spiegelinstallationen bespielen – dabei Grenzen verwischen zwischen innen und außen, Tag und Nacht, Mensch und Natur.
Selbst für Stammgäste des Skulpturenparks lohnt also ein Wiedersehen mit Waldfrieden. Bekanntlich sind viele berühmte Künstler (und nicht nur die) eitel. Wenn ein international gefeierter Bildhauer sich einen Skulpturenpark leistet, droht deshalb Selbstbeweihräucherung. Nichts könnte Tony Cragg ferner liegen. Ein Pantheon seiner eigenen Werke, das wäre dem Künstler ein Gräuel. Allein die Tatsache, dass er dieses Refugium für zeitgenössische Skulpturen nicht selbstherrlich im Alleingang bespielt, sondern es mit Kolleg*innen teilt, demonstriert, dass er eine gesellige Natur ist. Vielleicht darf man sogar so weit gehen, seinen Park als eine erweiterte »Soziale Plastik« im Grünen zu betrachten, um den Begriff von Beuys aufzugreifen.
Die Skulptur, sagt Cragg, sei »nicht nur eine Quelle neuer Formen, sondern auch neuer Ideen und emotionaler Erfahrungen«. Seine Waldfrieden-Aktivitäten betrachtet er als »einen Versuch, etwas von dem unglaublichen Reichtum zu vermitteln, den die Skulptur zu bieten hat.« Wenn Tony Cragg von den schier unendlichen Möglichkeiten schwärmt, aus einem Klumpen Ton eine kunstvoll gestaltete Plastik zu formen, dann wundert man sich nicht über die Spannweite seines Œuvres. Es erstreckt sich von organisch anmutenden Bronzen, die sich mit ihren dynamischen Volumen beispielsweise zu einer »Wirbelsäule« auftürmen, bis zu Installationen, in denen der Künstler aufgelesenes Plastik-Strandgut zu einem Sinnbild der Wohlstandsgesellschaft arrangiert hat. Ja, es stimmt, ein Brocken Ton birgt das Potenzial für Hunderte von Skulpturen. Zum Vorschein bringen kann diesen verborgenen Schatz jedoch nur jemand mit unerschöpflichem Einfallsreichtum und magischen Händen. Tony Cragg, kein Zweifel, gehört zu dieser raren Spezies.
Skulpturenpark Waldfrieden
»Home Game«
bis 8. Oktober 2023
»Mischa Kuball. light_poesis«
21. Oktober bis 18. Februar 2024