Der Aufschrei war laut, als der Betriebsausschuss der Stadt Köln vor der Sommerpause beschloss, den Vertrag von Richard Siegal und seinem Ballet of Difference nicht zu verlängern. Hat der US-Amerikaner mit seiner einzigartigen Kunst doch der Rheinmetropole den Glanz einer internationalen Tanzstadt zurückgegeben. So laut war der Protest in den Medien, dass er eine weitere, spektakuläre Nachricht übertönte: Die Stadt Köln will sich – 27 Jahre nach dem Rauswurf von Jochen Ulrichs legendärem Tanzforum Köln – wieder ein Dreispartenhaus leisten und eine institutionelle Tanzsparte etablieren. Die künstlerische Leitung soll sogar auf der Ebene einer Intendanz gleichberechtigt mit Oper und Schauspiel arbeiten. Zur Spielzeit 2025/26 soll der Vorhang für die neue Company hochgehen. Dieses Bekenntnis zur Tanzkunst kommt vollkommen überraschend. Zumal die Suche nach einer Persönlichkeit, die sich mit einem Konzept für das Profil eines solchen Ensembles bewerben muss, schon angelaufen ist.
»Die Ausschreibung für eine künstlerische Leitung haben wir in der ganzen europäischen Tanzszene so breit wie möglich veröffentlicht – von den Hochschulen über die Tanzzentren bis zu den Festivals«, sagt Stefan Charles, Kölns Dezernent für Kunst und Kultur, im Gespräch. »Wir wollen ein veritables Dreispartenhaus werden. Neben der Oper und dem Schauspiel soll es eine gleichwertige Sparte Tanz geben«, so Charles. Die Tanzdirektion solle auf der Ebene der Betriebsleitung, sprich Intendanz, die gesamte Kulturinstitution mitgestalten.
Es war der Neustart von Schauspiel und Oper am Offenbachplatz nach der Sanierung – derzeit ist die Rede von 2024 –, der die Frage nach der Bespielung des Gebäudeensembles und einer Wiederbelebung der Tanzsparte aufwarf. Dazu kam die Frage nach der Zukunft der Interimsspielstätten Depot 1 und 2 in Köln-Mülheim. Charles: »Dieser tolle Standort soll nicht nur der institutionellen Tanzsparte, sondern auch der freien Tanzszene in Köln eine Heimat geben. Das ist großartig.«
Die finanzielle Planung
In der Beschlussvorlage für den Stadtrat ist die Rede von einer zeitgenössischen Company mit 20 Tänzer*innen. Doch Stefan Charles sieht hier mehr Spielraum: »Das Finanzierungskonzept basiert auf einer solchen Company, um die Rahmenbedingungen zu berechnen. Wir geben nichts vor. Anhand der eingereichten Konzepte treffen wir die Entscheidung, was am besten zu Köln passt.« Eine Jury unter Vorsitz von Oberbürgermeisterin Henriette Reker und Stefan Charles wird die künstlerische Leitung auswählen.
Die Finanzierung sieht städtische Mittel in Höhe von 2,6 Millionen Euro für das Personal und künstlerische Produktionen der Tanzsparte vor. Hinzu kommen Eigeneinnahmen und Mittel für den Betrieb des dann gemeinschaftlich zu nutzenden Depots – insgesamt rund 9,3 Millionen Euro für die erste Spielzeit. Das ist eine solide finanzielle Basis, um eine Tanzsparte aufzubauen.
Die Etablierung einer dritten Sparte an den städtischen Bühnen erstaunt auch deshalb, weil die Domstadt tief in den roten Zahlen steckt. Die Verschuldung wächst mit dem Doppelhaushalt 2023/24 um 66 Prozent auf rund 5 Milliarden Euro an. Ihr Ziel, ab 2022 keine neuen Schulden zu machen, hat die Oberbürgermeisterin also deutlich verfehlt. Dennoch investiert man in die Kultur. Der Finanzierungsvorschlag für die neue Tanzsparte sieht eine Bettensteuer auch für Geschäftsreisende als Kulturförderabgabe vor. Derzeit gilt sie nur für Touristen. Diese Einnahmen sollen den größten Teil der Kosten decken. Zudem hofft man auf Fördermittel vom Land NRW sowie auf etwaige Sponsoren.
Was weiter verwundert: Die Beschlussvorlage sieht vor, die Reihe Internationaler Tanz-Gastspiele neben der neuen Sparte fortzuführen. Hier geht der Beigeordnete für Kunst und Kultur auf Distanz. Charles: »Das wäre natürlich wünschenswert. Aber wir versuchen, in dem open call nicht zu viel vorzugeben. Ein anderes Konzept ohne diese Gastspiele wäre auch nicht ausgeschlossen.« Er betont, dass die neue Company der Bühnen Köln auch Festivals ausrichten und spartenübergreifende Produktionen realisieren wird. Und dann wäre da noch die überaus aktive freie Kölner Tanzszene …
Ende einer Erfolgsgeschichte
Ob das Land NRW die erhofften Mittel geben wird, bleibt abzuwarten. Denn Richard Siegal und sein Ballet of Difference kamen als ein vom Kulturministerium gefördertes Projekt nach Köln, wo sie als Residenzcompany am Schauspiel angeschlossen sind. Die Förderung läuft mit der kommenden Spielzeit aus. Dass der Betriebsausschuss Bühnen der Stadt Köln eine Verlängerung von Siegals Vertrag bis 2025 – sinnvoll schon allein, um eine Lücke bis zum Start der institutionellen Company zu schließen – abgelehnt hat, dürfte das Land nicht gleichgültig lassen. Hat es doch einige Millionen in das Ballet of Difference investiert. Nachhaltigkeit sieht anders aus.
Warum man nicht einfach den US-Amerikaner zum Intendanten der neuen Sparte ernennt und viele Kosten und Mühen spart, ist völlig intransparent. Formal, so Stefan Charles, sei es gar nicht möglich gewesen: »Wir bestimmen unsere Intendanten immer über Auswahlverfahren. Siegal kann sich natürlich sehr gerne bewerben.« Das Interesse des herausragenden Künstlers dürfte gering sein. Das Publikum und die Medien lieben ihn, die Mehrheit in den politischen Gremien offenbar nicht. Dabei strahlt er weit über die Grenzen NRWs hinaus mit seinen Kreationen, die ganz am Puls der Zeit sind. Siegal lebt Diversität – und lässt sie nicht nur im Namen seiner Company anklingen. Er verbindet den Tanz mit immer neuen Disziplinen und Themen, mal performativ, mal installativ, mal immersiv. Dabei holt er sich Inspiration aus den unterschiedlichsten Ländern. Zuletzt entdeckte er in Japan das Powerwalking namens Shuudan Koudou für den Tanz und verhandelte aktuelle gesellschaftspolitische Fragen gleich mit.
Ob Stefan Charles einen Weggang von Richard Siegal bedauern wird? Pause. »Was ich sagen kann, ist, dass seine künstlerische Leistung und sein Engagement unbestritten sind. Er hat neue Formen, Themen und Künstler entwickelt, die gut zu Köln passen. Das ist schon toll. Insofern, ja, würde ich seinen Abschied bedauern.« Zu den Umständen von Siegals Rauswurf möchte er sich allerdings nicht äußern. So kann man nur mutmaßen, warum eine Erfolgsgeschichte in Köln wohl ein Ende findet.