Der Künstler Marco Donnarumma entwickelt Instrumente, um Nicht-Hörbares hörbar zu machen. Für seine Produktion »I Am Your Body« bei PACT Zollverein arbeitete er mit tauben und schwerhörigen Menschen zusammen.
Er hat Musikinstrumente entwickelt, die jede Bewegung im Arm hörbar und spürbar machen, oder das Herzklopfen, das eigene oder das eines anderen. Es sind elektromechanische Wandler, Muskel-Sensoren, die den Sound des Körpers wahrnehmbar machen. Auch den Sound des Blutes, das durch die Venen fließt. Marco Donnarumma ist Künstler, Performer und Wissenschaftler, der seit 20 Jahren Performance, Medienkunst und interaktive Computermusik miteinander verknüpft. Er arbeitet mit Biotechnologie, mit biophysischen Messungen, mit Neurorobotik und künstlicher Intelligenz. Für Laien ist die Entwicklung seiner Projekte vielleicht nicht immer rational nachvollziehbar, aber im Ergebnis faszinierend wahrnehmbar, fühlbar intensiv.
Ohne Sound würde seine spezielle Herangehensweise an Kunst und Technologie nicht funktionieren, sagt Donnarumma. Unter dem Begriff »Sound« versteht er »alle Arten der Manifestation von Vibration«: Dabei könne es sich um Vibrationen handeln, die durch die Luft vermittelt werden und dann zu Stimme, zu Musik oder zu einer Klanglandschaft werden. Oder Vibrationen, die nur über die Haut fühlbar werden. Es gebe auch das Geräusch, das man nicht hören, sondern nur wahrnehmen kann, indem man seine Auswirkungen auf die Umgebung beobachtet, wie etwa den Wind. Damit arbeitet Donnarumma in seinen Performances. Und dafür entwickelt er Maschinen und manipuliert Körper, experimentiert mit KI-Robotik und neuen Interfaces für den musikalischen Ausdruck.
Der Soundkünstler ist selbst schwerhörig
Für seine neueste Arbeit »I Am Your Body« ist der 1984 in Neapel geborene, in Berlin lebende Künstler in Essen bei PACT Zollverein in die Recherchearbeit gegangen. Bereits seit 2018 arbeitet Marco Donnarumma regelmäßig bei PACT Zollverein, auch bei der Akademie für Theater und Digitalität in Dortmund oder in Düsseldorf im tanzhaus nrw und im NRW Forum. Diesmal ist er in Workshops mit fünf Menschen zusammengekommen, die von Geburt an taub sind, die mit einem Cochlea-Implantat leben oder die schwerhörig sind. Von der 15-jährigen Jugendlichen bis zum 57-jährigen Elektromechaniker. Eine möglichst diverse Gruppe, mit der Marco Donnarumma der Frage nachgegangen ist, was Klang bedeutet – für jede*n einzelne*n. Und wie Sound durch die Körper wahrgenommen wird.
Marco Donnarumma ist selbst schwerhörig. 2014 bekam er die Diagnose eines genetisch bedingten, beidseitigen degenerativen Hörverlusts. Eine niederschmetternde Diagnose für einen Soundkünstler. Seine Performance soll aber keine persönliche sein. Er und alle anderen Teilnehmer*innen tauschten sich bei digitalen Treffen und in den Workshops über ihre Erfahrungen aus. Was bedeutet Klang für diejenigen, die nicht hören können? Wie hört man etwas, das man eigentlich nicht hören kann? Das sind die Fragen, die Donnarumma und die anderen beschäftigten. Eine gehörlose Teilnehmerin berichtete zum Beispiel davon, wie sie bei einem Musikkonzert beeindruckt war von der Vibration durch den Sound der Instrumente. Es sind die simplen Situationen aus dem Alltag, die vermeintlich kleinen Begebenheiten, die Donnarumma interessieren, um sie in der Performance neu wahrnehmbar zu machen.
Die Teilnehmer*innen führten Hör-Tagebücher, sprachen darüber, was Klang alles sein kann – auch Vibration oder Licht. Und sie arbeiteten mit der individuellen Hörkurve der Teilnehmer*innen, visualisierten mit Lichtfiltern, was jede*r einzelne hört und was nicht. »Die Arbeit mit der Gruppe war unglaublich bereichernd«, erzählt Donnarumma. »Uns wurde klar, wie wichtig und wie selten es für taube und schwerhörige Menschen den Raum gibt, sich über Gedanken, Zweifel, Fragen und körperliche Erfahrungen auszutauschen.«
All das Recherchematerial aus den Workshops ist Grundlage für die Solo-Performance, bei der Marco Donnarumma selbst auf der PACT-Bühne performen wird. Eine klangbasierte Tech-Art-Performance, wie es in der Ankündigung heißt, bei der Donnarumma seinen Körper bereitstellt, um andere und viele hörbar zu machen. Sein Körper wird zu einer Art Lautsprecher. Und auch Interaktionen mit dem Publikum hat er geplant.
Mit Prothesen arbeitete Donnarumma schon oft, aber jetzt zum ersten Mal mit elektronischen Hörprothesen. Die sind normalerweise nicht oder kaum sichtbar – anders als beispielsweise eine Arm- oder eine Beinprothese. Das bedeutet einen ganz anderen choreografischen Umgang. Kombinieren wird er die Körperbewegung und den Sound mit Geräuschen, die er in der Wildnis Islands aufgezeichnet hat. Auch dort gebe es eine vermeintliche Stille, die vieles hören lässt. Das interaktive Lichtkonzept für die Performance entwirft Andrea Familari. Für die Prothesen und das Bühnenbild ist Anna Cingi verantwortlich.
Mit den beiden und Margherita Pevere entwickelt Donnarumma zurzeit auch am Wiener Volkstheater (dessen derzeitiger Intendant Kay Voges ab der Spielzeit 2025/26 das Schauspiel Köln übernehmen wird) das Projekt »[6XXX6]«, eine sechsteilige Science-Fiction-Performance von »Fronte Vacuo«. Dieses interdisziplinär arbeitende Performance-Kollektiv gründete Marco Donnarumma zusammen mit Margherita Pevere und Andrea Familari 2019. Ihre Werke wurden unter anderem auf der Ars Electronica ausgezeichnet. Das aktuelle Wiener Projekt ist Teil ihrer »Humane Methods«-Saga, in der sie Menschen, andere Lebewesen, Algorithmen der künstlichen Intelligenz und Robotik in einem hyperrealen Kosmos leben lassen. Technologie, Kunst und soziale Teilhabe wollen sie hier in einer ungewöhnlichen Erzählform verbinden.
Als eigenwillig und kompromisslos wird Donnarummas Ästhetik bezeichnet. Immer befragt er die Mensch-Computer-Interaktion, fördert den Dialog zwischen Bewegungsforschung und Musik. Zur Performance »I Am Your Body« wird es auch ein Begleitprogramm mit einer Ausstellung und interaktiver Installation geben, das den kreativen Arbeitsprozess in den Workshops nachvollziehbar machen soll. Sichtbar machen, wahrnehmbar machen – das ist ein zentrales Ziel Donnarummas. Klang, KI und das Körperwissen tauber und schwerhöriger Menschen bringt er dafür zusammen.
»I Am Your Body«
im Rahmen der Veranstaltungsreihe »PEER TO PEER – ein Monat der Medienkunst in
NRW« des medienwerk.nrw und verschiedenen Kooperationspartner*innen
22. und 23. September
in Deutsch, Englisch und deutscher Gebärdensprache
Ein Trip durch die Medienkunstlandschaft
Mit der Veranstaltungsreihe »Peer to Peer – Ein Monat der Medienkunst in NRW« laden das Büro Medienwerk.nrw und Kooperationspartner*innen zu einer Reise durch die vielfältigen Medienkunstlandschaft des Landes ein. In Workshops, Performances, Präsentationen, Talks und urbanen Spaziergängen geht es im September um aktuelle Debatten im Spannungsfeld von Kunst und Technologie. Schauplätze sind das FFT Düsseldorf, die Kunsthochschule für Medien und das Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln, Burg Hülshoff – Center for Literatur (CfL) in Havixbeck und PACT Zollverein in Essen.
Bis 30. September, medienwerk.de