Nadja Loschky war Operndirektorin und ist jetzt neue Intendantin am Theater Bielefeld. Die ersten zwei Jahre arbeitet sie im Team mit dem jetzigen Chef Michael Heicks. Wie kann das funktionieren?
Ein Intendanzwechsel an einem Stadttheater funktioniert selten ohne Reibungen. Die Neuen wollen sich gegen die Alten profilieren. Den Vorgängern juckt die Eitelkeit, wenn ihre Nachfolger zu erfolgreich sind. Die Ensembles geraten in Unruhe, weil viele nicht verlängert werden. Und das Publikum ist oft verunsichert, weil es sich auf neue Looks, Menschen und Inhalte einstellen muss. Und nun kommt Bielefeld! Hier gibt es einen sanften Übergang. Die neue Intendantin Nadja Loschky war zuvor schon Operndirektorin und arbeitet die ersten zwei Jahre ihrer Leitung im Team mit dem jetzigen Chef, Michael Heicks, der seit Januar 2005 das Theater Bielefeld leitet. Wie kann das funktionieren? Und bedeutet das nicht künstlerische Stagnation?
kultur.west: Frau Loschky, haben Sie nicht das Bedürfnis, in Ihrer ersten Intendanz das Theater Bielefeld ganz neu zu gestalten?
LOSCHKY: Nein. Oft werden Häuser durch den Profilierungsdruck neuer Leitungen zurückgeworfen. Ich finde, dass man Dinge auch weiterführen kann. Prozesse am Theater sind oft langwierig und entwickeln sich über Jahre. Nehmen wir zum Beispiel das Bielefelder Studio, ein spartenübergreifendes Weiterbildungsprojekt für junge Künstler*innen. Das nahm in der Spielzeit 2019/20 seinen Anfang. Und ab der Spielzeit 23/24 wird es dann noch um drei artists in residence erweitert – ein*e Schriftsteller*in, eine*n Komponist*in und ein*e Mediengestalter*in. In Bielefeld läuft auch bisher schon vieles einfach gut, vor allem durch demokratische, flache Hierarchien.
kultur.west: Michael Heicks hat ja immer Wert darauf gelegt, dass alle Entscheidungen im Team getroffen werden. Wollen Sie diesen Geist weiterführen oder sogar noch verstärken?
LOSCHKY: Ich habe in meinen ersten Jahren als Regisseurin äußerst unangenehme Erlebnisse gehabt. Die erste Hauptprobe war immer ein Alptraum, da kam der Intendant und hat gebrüllt. Ich habe zwei Ausnahmen erlebt: Luzern und Bielefeld. Wir brauchen kein Angstsystem im Theater. Aber weil auf den Intendanzen so viel Druck liegt, wollte ich nie in eine Leitungsposition, sondern meine eigene Herrin sein.
kultur.west: Und wie ist es dann passiert, dass Sie in Bielefeld erst Operndirektorin und jetzt Intendantin wurden?
LOSCHKY: Weil Michael Heicks mich überzeugt hat, in langen und offenen Gesprächen, und weil ich in diesem Haus eine künstlerische Heimat gefunden habe.
kultur.west: Sie sind als Opernregisseurin bekannt, auch an großen Häusern wie der Komischen Oper Berlin, in Köln und Zürich. Nun inszenieren Sie als Intendantin als erste Regiearbeit ein Schauspiel. Warum das?
LOSCHKY: Weil ich von diesem Text begeistert bin. Carina Sophie Eberle hat mit »else(someone)« eine zeitgenössische Variante von Arthur Schnitzlers Novelle »Fräulein Else« geschrieben. Außerdem möchte ich auf diese Weise das Schauspielensemble in der direkten Arbeit kennenlernen und ebenso das Theater am alten Markt, das TAM, in dem ja vor allem das Schauspiel zu Hause ist. Es gibt auch Musik, die aber nicht wie in der Oper den Ausgangspunkt bildet, sondern während der Inszenierung mit dem Ensemble und der Komponistin Misha Cvijovic entsteht. Der Text selbst bringt natürlich auch schon einen bestimmten Rhythmus und Sprachmelodien mit.
kultur.west: Der Musiktheaterspielplan bietet allerdings viel bekanntes Repertoire. Da war Bielefeld in vorigen Spielzeiten schon origineller, oder?
LOSCHKY: Natürlich werden wir weiterhin Neues machen. Aber so ein spartenübergreifendes Riesenprojekt wie »Berlin Alexanderplatz« in der vergangenen Saison braucht viel Geld und Vorbereitung. Wir überlegen uns, welche Stücke zusammenpassen und welche Aufgaben gerade für das Ensemble richtig sind, damit sich die Sänger*innen weiterentwickeln können. Wir werden auch weiterhin genau beobachten, was gerade international passiert und in Bielefeld Opern als deutsche Erstaufführungen präsentieren. Wie beispielsweise »The Convert«, ein faszinierendes Werk von Wim Henderickx, das in der zweiten Spielzeithälfte bei uns die deutsche Erstaufführung erleben wird.
kultur.west: Was bedeutet die Entscheidung für Bielefeld für Ihre Karriere? Sie werden doch bestimmt die vielen Kontakte zu großen Bühnen nicht einfach aus dem Kalender löschen, oder?
LOSCHKY: Nein, ich werde weiter eine Gastinszenierung pro Jahr machen. Das ist so abgesprochen, war auch eine Bedingung von mir. Und wird auch von den Verantwortlichen bei der Stadt als positive Bereicherung für meine Arbeit hier gesehen.
kultur.west: Sie haben während der Corona-Zeit eine wunderschöne Kammermusikfassung von Verdis »Rigoletto« inszeniert. Das klang und wirkte nie wie eine Notlösung. Werden Sie diesen Weg, mit Klassikern umzugehen, weiter beschreiten?
LOSCHKY: Machen wir. Mit dem gleichen Komponisten Michael Wilhelmi bringen wir eine neue Version von Rossinis »Barbier von Sevilla« heraus, den wir auch in der gewohnten Fassung im Programm haben. Das wird eine Familienoper mit dem Titel »Doktor Bartolos Geheimnis« und ein ganz neues Stück, keinesfalls nur eine runtergekochte Fassung der großen Oper für Kinder.
kultur.west: Apropos Kinder. Sie haben zwei, zwei und sechs Jahre alt. Das ist heute kein Problem mehr für eine Theatermacherin, oder?
LOSCHKY: Es hat viel mit Organisation und einem tollen Partner zu tun. Außerdem gibt es zwei wunderbare Babysitterinnen und Patenonkel und Patentante. Die Familie bereichert das Theater und umgekehrt. Wenn wir etwas über die Welt erzählen und Utopien erschaffen wollen, gehören Kinder einfach dazu.
kultur.west: Und wie ist es mit dem Druck, Intendantin zu sein? Spüren Sie da schon was?
LOSCHKY: Ich wurde mehrmals gefragt, wo ich das Theater Bielefeld im Jahr 2027 sehe. Dieser Frage verweigere ich mich. Wir haben doch in der Pandemie erlebt, wie schnell sich alles drehen kann. Ich will die Freiheit behalten, auf das zu reagieren, was mir entgegenkommt. Die Frage, die ich mir stelle, lautet: Wie mache ich das, was ich mache, gut?
Neue Intendantinnen
Neben Nadja Loschky starten in dieser Spielzeit weitere Intendantinnen an den Opernhäusern in NRW. Elena Tzavara ist nun Intendantin in Aachen, die Amerikanerin Rebekah Rota leitet die Oper in Wuppertal. Und Merle Fahrholz ist zwar schon seit einem Jahr am Aalto-Musiktheater in Essen, hat bisher aber mehr die Planungen ihres Vorgängers Hein Mulders realisiert. Nun beginnt die erste Spielzeit, die sie selbst konzipiert hat.
Nadja Loschky gehört zu den begehrtesten Opernregisseurinnen, auch an großen Häusern. Sie hat in Zürich die Uraufführung von Christian Josts Oper »Rote Laterne« und einige Stücke an der Komischen Oper in Berlin inszeniert, ebenso an der Oper Köln. Für »Madame Butterfly« von Puccini am Theater Bielefeld bekam sie 2015 den Götz-Friedrich-Preis. Seitdem arbeitet sie regelmäßig in Bielefeld, war dort seit vier Jahren Operndirektorin und ist ab Beginn der Spielzeit Ko-Intendantin an der Seite von Michael Heicks.
Ihre erste Premiere als Intendantin ist die Uraufführung »Else (Someone)« von Carina Sophie Eberle nach Arthur Schnitzler. Premiere am 8. September, weitere Aufführungen am 13., 14., 20., 21., 22. September, 1., 3. Oktober im Theater am Alten Markt.