Polizeipräsenz gehört an der Straße Feldmark in Bochum zur Normalität seit dort, am Rande des Hauptfriedhofs, eine jüdische Trauerhalle eröffnet wurde. Mit dieser Tatsache besteht auch schon ein wichtiger Grund, warum das Fritz Bauer Forum, das in direkter Nachbarschaft entstehen soll, unbedingt gebraucht wird.
Der 1903 geborene Jurist Fritz Bauer war ein Widerstandskämpfer gegen das Nazi-Regime und Initiator der Frankfurter Auschwitz-Prozesse. Auf seinen Hinweis hin konnte der israelische Geheimdienst Ende der 1950er Jahre den SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann in Argentinien ausfindig machen, dem dann öffentlichkeitswirksam der Prozess gemacht wurde. Trotzdem wird der 1968 unter nicht vollständig geklärten Umständen in seiner Badewanne verstorbene Fritz Bauer in Deutschland nicht unbedingt als Held verehrt. Irmtrud Wojak ärgert das.
Die Historikerin und Gründerin der Buxus-Stiftung ist die treibende Kraft hinter dem Aufbau des Fritz Bauer Forums. Bevor am 11. August bei einem kleinen Sommerfest und Tag der offenen Tür zumindest die Bibliothek präsentiert werden soll, empfängt sie ihre Besucher auf einer Baustelle. Das fertige Gebäude im Mittelpunkt ist die alte Trauerhalle Havkenscheid (oder Trauerhalle Ost), ein spannungsvoller Bau aus den 1970er Jahren: Auf dem schlanken Sockel mit Buntglasfenstern steht eine imposante »Krone« aus Sichtbeton im Stil des Brutalismus.
»Diese Ambivalenz aus filigraner Leichtigkeit und Schwere, das ist symbolhaft für unser Anliegen«, sagt Irmtrud Wojak. Sie will einen internationalen Ort für Forschung, Bildung, Kunst und Dialog mitten im Ruhrgebiet schaffen – aus dem Gedenken an den Widerstand gegen unmenschliche Systeme heraus.
Momentan zieht in die alte Trauerhalle die Bibliothek ein. Das Architekturbüro planplus hat eine dreistöckige Galerie und ein Regalsystem erdacht, das alleine quasi vor den Wänden steht, die aufgrund des Denkmalschutzes nicht berührt werden durften. In kleinen Nischen, die in den Betonfaltungen der Wände entstanden sind, sollen Arbeitsplätze mit Tisch und Lampe entstehen. Die Bibliothek soll einen interkulturellen Dialog über Geschichten vom Widerstand und vom Überleben ins Laufen bringen und hat auch eine interaktive Webseite. Die 40.000 Titel vor Ort speisen sich unter anderem aus privaten Beständen der Initiatorin oder dem Politischen Archiv Bochum, das vorher im Verein Botopia untergebracht war.
Dass das Fritz Bauer Forum in Bochum entsteht, ist der Biographie seiner Initiatorin und einem Zufall geschuldet. Irmtrud Wojak hat an der Ruhr-Universität Bochum studiert und mit einer Arbeit zur deutschen jüdischen und politischen Emigration während der NS-Zeit nach Chile promoviert. In den 1990er Jahren gründete sie in Bochum den Verein »Erinnern für die Zukunft« – »und ich erinnere mich, wie schwierig das war, mit ihm Holocaust-Überlebende in die Stadt einzuladen«. Nicht, weil es schwierig war, die Überlebenden dazu zu bewegen, sondern weil es Widerstände in der Stadtgesellschaft gab, manche Menschen das dunkle Kapitel deutscher Geschichte lieber im Dunklen lassen wollten.
Bis heute sind Andenken und Erinnern an die Nazi-Zeit ein schwieriges Thema. Fritz Bauer etwa wurde durch verschiedene Dokumentationen in den 2010er Jahren ins Zwielicht gerückt: »Es gab Filme über den Landesverräter, den Nazi-Jäger, den schwulen Juristen, die Fragen: Hat er die SPD verraten? Hat er das Judentum verraten?«, sagt Irmtrud Wojak. »Bis heute gibt es in Deutschland ein schwieriges Verhältnis zu Widerstandskämpfern. Sophie Scholl oder Stauffenberg werden gefeiert, weil sie Märtyrer waren. Aber wer mit kleineren Dingen als seinem Leben bezahlt hat, wird vergessen. Menschen wie Fritz Bauer zeigen: Man konnte etwas tun – und das will niemand hören.«
Große Förderung
Die 60-Jährige beschreibt es hingegen als lebensveränderndes Ereignis, als sie auf die Spur von Fritz Bauer kam. »Er wurde ein Vorbild dafür, dass man mit seinem Handeln auch etwas verändern kann. Ich wollte von da an engagierte Wissenschaft betreiben.« Sie setzte sich unter anderem am Fritz Bauer Institut in Frankfurt für Erforschung von Leben und Werk des Juristen ein, kuratierte eine große Ausstellung mit zeitgenössischer Kunst zum Auschwitz-Prozess. 2008 habilitierte sie mit einer Biographie über Fritz Bauer, die lesen sollte, wer wissen möchte, was aus ihrer Sicht an den oben erwähnten Narrativen des multiplen Verrats dran ist – nämlich nichts. Zum Beispiel der Verrat am Judentum: »Der Mann war Agnostiker«, sagt Irmtrud Wojak, »Religion spielte für ihn keine große Rolle.« Für ihre Biographie sei ihr schon »Heiligen-Geschichtsschreibung« vorgeworfen worden.
Umso größer muss die Genugtuung für sie sein, dass das Projekt des Fritz Bauer Forums in Bochum nun so groß gefördert wird. Der deutsche Stifterpreisträger Jens Mittelsten Scheid aus der Wuppertaler Vorwerk-Dynastie und weitere private und öffentliche Partner wie das Land NRW und die Stadt Bochum sorgen dafür, dass ein Gesamtvolumen von fünf Millionen Euro für die Sanierung der Trauerhalle und den Neubau daneben zur Verfügung steht.
Irmtrud Wojak, die um das Jahr 2010 als Gründungsdirektorin des NS-Dokumentationszentrums in München wirkte und 2014 als erste deutsche Historikerin zum Fellow am Radcliffe-Institut der Harvard-Universität ernannt wurde, kann sich dem Aufbau des Forums nun ganz widmen. Seinen Standort fand sie aus Zufall, weil sie dem Architekten, der ihr eigenes Haus umbaute, von der Suche erzählte. Er hörte sich einmal bei der Stadt um – und stieß auf die alte, mittlerweile leer stehende Trauerhalle Havkenscheid.
Auch die Geschichte der Trauerhalle hat mit der Nazi-Zeit zu tun: Architekt Ferdinand Keilmann wurde früh NSDAP-Mitglied und wirkte an der Plänen zur Hauptstadt »Germania« mit. Nachdem er zweimal das Entnazifizierungs-Verfahren durchlaufen hatte, wurde er städtischer Baurat in Bochum. Am Tag des offenen Denkmals am 10. September wird sein Enkel am neuen Forum von dieser Geschichte erzählen.
Bis der Neubau nebenan entstanden ist, wird es noch mindestens ein weiteres Jahr dauern. Ein großer Seminarraum für Veranstaltungen wird dort entstehen, ein Archiv, Büros für die Buxus-Stiftung und ein Café, das auch die Radfahrer von der nahen Trasse nach Dortmund anlocken soll. Außerdem sind Ateliers und Forschungsräume geplant, weil Irmtrud Wojak mit ihrer Stiftung Residenz-Künstler*innen und Forscher*innen einladen will. »Artists and Scientists at Risk« will sie das Programm nennen – also »unter Risiko« oder »Gefahr«.
In einer Rede zur Eröffnung der Virtual-Reality-Ausstellung Fritz Bauer – »Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich feindliches Ausland« im Justizzentrum Bochum, sagte Irmtrud Wojak kürzlich: »Fritz Bauer hat rückblickend auf das NS-Unrecht gesagt, dass millionenfache Leid appelliere an uns alle. Das Gute im Menschen müsse freigeschaufelt werden. ‚Es müssen ihm Bedingungen geschaffen werden, zu wachsen.‘ Das ist sein Vermächtnis und das aller Überlebenden: ‚Wir können aus der Erde keinen Himmel machen, aber jeder von uns kann etwas dazu tun, dass sie nicht zur Hölle wird.‘« Als einen Beitrag dazu kann man bald das Fritz Bauer Forum in Bochum besuchen.