Befehl ist Befehl: Er hat den Charakter des Endgültigen. Er muss gebrüllt werden, bis er einem gewissermaßen zu den Ohren herauskommt, damit der Befehlsempfänger den »Stachel« spürt, der sich in ihn hineinsenkt und der in einem allzeit gespeichert bleibt, wie es der Spezialist für die Phänomene der Macht, Elias Canetti, analysiert hat. Man könnte sagen, der Laut gewordene Befehl ist die sprachliche Übersetzung für den Knüppel, die Rute, die Peitsche, das phallische Züchtigungsinstrument des Befehlshabers und sein verlängerter Wille.
Einer widersetzt sich dem Befehl. Mario Falak (Luca Dimic) sagt ab und an ‚Nein’ und macht kein Hehl aus seinem Schwul-sein. Junge Männer treten der Reihe nach an zum Wehrdienst. Der übliche Kasernenton, unpersönlich, ruppig, damit gleich die Hierarchie feststeht. Der Rekrut gibt seinen Anspruch auf, Individualität ab, durchläuft ein Erniedrigungsritual, nicht ganz so beinhart wie in der US-Army, aber drastisch genug im Bundesheer einer Republik wie Österreich.
»Schwuchtel« ist und bleibt das am stärksten inkriminierende Attribut, mit dem jemand in dieser Männergemeinschaft von Unterdrückern und Unterdrückten gebrandmarkt und an die Gruppe ausgeliefert werden kann. Damit sie sich nicht durch den gefährlichen erotischen Infektionsherd von innen her auflöst, so der psychodynamische Prozess, muss die böse Kraft neutralisiert werden. Antreten, strammstehen, exerzieren, ausrücken zum Training und Maul halten, sonst gibt’s zur Strafe 60 Liegestützen oder eine Spind-Durchsicht, bei der die Diagnose »Schlamperei« zum Disziplinierungs-Prinzip gehört. Das sind Einübungen ins soldatische savoir vivre.
Zweifach beim Max Ophüls Preis ausgezeichnet und mit sieben Nominierungen für den Österreichischen Filmpreis versehen, lässt der ohne melodramatischen Gefühlsaufwand, spartanisch erzählte, bisweilen harsch wirkende »Eismayer« zu, dass seine Geschichte – beglaubigt durch das Siegel der Authentizität und ein reales Happy End – emanzipatorischen Fortschritt markiert.
Feindliches Gelände
Vizeleutnant Charles Eismayer ist berüchtigt als Schleifer. Sein moderater Hauptmann hat eine andere Vorstellung von Ausbildung und Gehorsam und mahnt den Untergebenen, er bewege sich auf einem »Minenfeld«. In einem ganz anderen Sinn hat er damit Recht. Eismayer betritt feindliches Gelände: Das Gegnerische liegt in ihm selbst. Eismayers Vierkantschädel ist die Härte. Seine Miene lässt glauben, er presse beständig Ober- und Unterkiefer aufeinander und halte seine Gesichtsmuskeln krampfhaft unter Kontrolle, auf dass sich nur ja nicht etwas lockern möge. Ein sich selbst und seinen Körper kujonierender Triebunterdrückungstäter, aus dem es dann aber herausbricht – die Lust und das Begehren – und in rabiatem Sex mit Falak mündet, nachdem die Männer sich zuvor unter der Dusche mit ihrer Nacktheit erregt hatten. Auch dies, zumindest beim ersten Mal, ein Kampf, bei dem der eigene Wille absolut durchgesetzt und der des Partners bezwungen werden muss. Gerhard Liebmanns Darstellung bringt das Kunststück zustande, die wunde Seite Eismayers, geprägt von der Angst, mit seiner Weichheit würde sich Schwäche verbinden, ansichtig, fast nur ahnbar sein zu lassen.
Aus der Anziehung wird eine Beziehung zwischen Eismayer und Falak. Gefolgt von Eismayers Geständnis gegenüber seiner Frau, schwul zu sein und dies nicht erst seit heute. Dann spuckt er plötzlich Blut. Diagnose: Krebs. Etwas frisst an ihm. Nach der Chemotherapie hilft ihm Mario Falak, der sich als Berufssoldat verpflichtet hat und zum Offiziersstudium zugelassen wird, wieder auf und zu Kräften zu kommen. Im privaten Verhältnis kehrt sich damit das frühere Muster um: Eismayer ist nun derjenige, der parieren muss, um gesund zu werden und sich neu zu stählen.
Zurückgekehrt in die Armee, wachsen ihm Zweifel zu an seiner Funktion und Rolle, seiner Identität, seinem Selbstbild. Als er sich dann in den Wagen setzt und losrast, ist kurz offen, was passiert: Kurzschlusshandlung, Amoklauf, Suizid? Doch er bricht auf, um sich vor Mario und den Kameraden zu outen und sich zu sich selbst und dem Geliebten zu bekennen. Charles Eismayer hat die innere Front, hat »die Ich-Struktur des Nicht-zu-Ende-Geborenen« (Klaus Theweleit in seinem Buch »Männerphantasien«) überwunden. Könnten nur alle Sieger so aussehen. Es müsste keine Besiegten mehr geben. ****
»Eismayer«, Regie: David Wagner, Österreich 2022, 86 Min., Start: 1.Juni