Wenn es um große Kunst in Nordrhein-Westfalen geht, dann geht es meist um Kunst in den Ballungsräumen und Großstädten: Köln natürlich, Millionenstadt. Düsseldorf, Landeshauptstadt und Ort der Kunstsammlung NRW. Das Ruhrgebiet mit Landschaftsparks und Industriemuseen. Indes: Immer häufiger ploppt in diesem Zusammenhang auch Monheim am Rhein auf. Die Stadt, deren Menschen im Urlaub auf die Frage »Woher?« traditionell irgendetwas mit »Zwischen Köln, Düsseldorf und Leverkusen« antworten. Aktuelles Beispiel: Vom 3. Juni bis 2. Juli treffen sich dort 14 Künstler*innen aus aller Welt und gewähren mit ihrer Kunst einmal quer durch die knapp 43.000 Einwohner*innen zählende Stadt auf jeweils eigene Weise Zugang zu einer sinnlichen Erfahrung, die heutzutage in der optischen Raserei der digitalen Welt häufig verloren geht: Sie widmen sich dem Klang. Sie machen die Stadt, die seit einigen Jahren finanziell hervorragend aufgestellt und nicht zuletzt in Sachen Kultur extrem umtriebig und ambitioniert ist, hörbar.
»The Sound« heißt diese kuriose wie beeindruckende Mixtur aus Multi-Performance, Riesen-Ausstellung urbaner Kunst und Festival. Kuratiert haben sie Frank Schulte und Kathrin Jentjens. Beide haben die Schritte und Kilometer, die sie in den vergangenen Monaten alleine, zu zweit oder mit den auf Besuch vorbeischauenden Kunstschaffenden durch Monheim zurücklegten, gar nicht erst angefangen zu zählen. »Es waren schlichtweg zu viele«, sagt Schulte. Selbst ein Gang entlang einiger ausgewählter »The Sound«-Orte nimmt knapp drei Stunden in Anspruch. Aber schon diese Runde offenbart gleichzeitig die Wucht, die dieses Festival entfalten wird.
Da ist zum Beispiel Hakeem Adam. Der Ghanaer stellt mit seinem Klangkunstwerk »A Moment In Passing« die Frage nach der Identität und hat dafür einen Ort ausgesucht, an dem seit jeher zwei Monheimer Welten aufeinanderprallen und der in vielen Städten deckungsgleich zu finden ist: Nördlich des Fußgängertunnels zwischen der neu gebauten Monheimer Mitte und dem Ernst-Reuter-Platz bricht sich das gutbürgerliche Leben Bahn mit Ladenzeilen, dem Monheimer Villenviertel, der zum Rhein führenden Krischerstraße und der Altstadt. Südlich stehen die für den sozialen Wohnungsbau sinnbildlich gewordenen Hochhausblöcke, in denen seit jeher viele Familien mit Migrationshintergrund leben. Die Polizeiwache mittendrin, der beinahe rund um die Uhr geöffnete Riesen-Supermarkt und der Ernst-Reuter-Platz als Betonwüste des Zusammentreffens aller sind Realität gewordene Klischees des Urbanen. Ein Tunnel. Dunkel. Zwei Welten. Und Adams Lautsprecherboxen, die hier die Bewegungen der Vorübergehenden akustisch verstärken werden, während die Menschen sich in Spiegeln »zwischen den Welten« wahrnehmen und Teil des Kunstwerks werden können. Ein Beitrag, der eine klare gesellschaftspolitische Konnotation hat.
Angela de Weijer, Künstlerin aus den Niederlanden, arbeitet mit Sirenen-Sounds und erschafft für alle zwölf Sirenen Monheims eine Komposition: An jedem Samstag während des Festivals soll ein atmosphärischer, sich langsam entwickelnder Ton in der ganzen Stadt zu hören sein. De Weijers Arbeit zugrunde liegt ein Sirenen-Stück, das sie zwischen 2016 und 2020 anlässlich der geplanten Stilllegung des niederländischen Warnsystems komponiert hatte. Die wurde jedoch verschoben. Das Konzert wurde nie gespielt. Stattdessen schlugen andere Traumata zu als Feuersbrünste: die Pandemie. Extreme Wetterbedingungen. Ein Krieg mitten im Herzen Europas. In Monheim will de Weijer nun darauf aufmerksam machen.
Einen direkten Bezug zur Natur vor Ort schaffen Chris Watson und James Webb. Watson, Engländer aus Sheffield und in den 1980er Jahren Gründungsmitglied der einflussreichen Wave-Band Cabaret Voltaire, hat über die Jahre zahlreiche BBC-Natur-Dokumentationen entwickelt und dabei Geräusche von Tieren aus aller Welt gesammelt. Viele davon – hauptsächlich aus der afrikanischen Savanne – wird er nun über ein Lautsprechersystem während des Festivals jeden Tag von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang in einem kleinen Waldstück der Monheimer Rheinauen abspielen. Die Menschen, die vorübergehen, sind somit eingeladen, die ihnen gewohnte Umgebung mit Klängen anderer Landschaften zu erleben und weit entfernte Lebensräume mit ihren alltäglichen Dramen des gegenseitigen Jagens ebenso wie der natürlichen Koexistenz zu erfahren.
Webb wiederum suchte sich den Rhein als Zentrum seiner Installation aus. Der ist schließlich schon immer dagewesen. Um ihn herum siedelte sich das Leben einst erst an. Er hat also, salopp gesprochen, schon viel erlebt. Über das jedoch schweigt er sich als Fluss seit jeher beharrlich aus. Also schrieb Webb gemeinsam mit Menschen aus Monheim Fragen auf, die diese gerne an den Fluss ihrer Heimat stellen würden: »Wer hat das Recht, für dich zu sprechen?«, »Wohin lässt du dich treiben?«, »Was behälst du für dich?«, »Welches Geheimnis, das stromaufwärts liegt, kannst du uns verraten?« Er und seine Fragegruppe sprachen sie aus. In den Festival-Wochen werden sie nun vom Ufer aus elektrisch verstärkt auf den Rhein geworfen. Passant*innen werden eingeladen, zuzuhören, mit Blick auf den Fluss nach Informationen zu suchen – oder die Fragen möglicherweise selbst zu beantworten.
Und wo klingt es sonst noch bei »The Sound«? Mehrere Orte in der Stadt ausgesucht hat sich Rie Nakajima aus London: Sie wird etwa an einer nahen Holzbrücke in Richtung Rhein, am Ufer gleich gegenüber dem Chempark in Dormagen und auf einem weitläufigen Gelände an der Monheimer Promenadenstraße mit anderen Künstler*innen kleine klingende Objekte installieren. Verarbeitet hat sie in denen auch Fundstücke vor Ort. Robert Wilson hat eine Installation mit Klang- und Lichtelementen für den Marienburgpark entwickelt: »Yes There No Where« ist eine nicht begehbare, jedoch von außen einsehbare Hütte mit Fenstern und Guckloch, durch das bequem eigentlich nur Kinder schauen können. In einem Video erzählt der Theaterkünstler, dass es ihm darum ging, etwas »Märchenhaftes und Geheimnisvolles für diesen Ort zu schaffen«. Integriert in das Werk wird auch das Monheimer Wappentier, eine überlebensgroße Gans, flankiert von einer Mädchenfigur vor der Hütte. Zu hören gibt es dazu nicht nur eine Komposition der Gruppe »CocoRosie«. In Sichtweite sind drei Klangbrunnen (»Soundwells«) mit Texten von Ulla Hahn integriert, die die gebürtige Monheimerin speziell für diesen Ort verfasst hat.
Das Duo Phillip Sollmann und Konrad Sprenger stellen in einem Parkhaus neben der geplanten Monheimer »Kulturraffinerie K714« ein Orgelsystem auf, das Architektur mit Klang, Ökonomie mit Kunst verbindet. Kurzum: Nirgendwo sonst im Land wird es im Juni derart vielfältig klingen wie in Monheim am Rhein. »The Sound« stimuliert den Hörsinn – nicht zuletzt mit seiner Opulenz und Vielfältigkeit. Und einem einzigartigen Konzept.
3. Juni bis 2. Juli
Die Klanginstallationen von »The Sound« sind allesamt frei zugänglich.