… ist das Stück »Der lange Schlaf« von Finegan Kruckemeyer, das ich am Theater Oberhausen inszeniere. Es ist eine Art dystopisches Märchen und arbeitet sich an einer globalen Krise ab, die alle Menschen auf dieser Welt gleichzeitig und auch völlig unabhängig von ihrem finanziellen Hintergrund oder den Verhältnissen, in denen sie leben, betrifft: 2030 ist die Welt in einem Zustand, dass man darüber nachdenkt, auf andere Planeten auszuweichen. Dann gibt es die Idee, alle Menschen für ein Jahr mit einem Gas in einen Schlaf zu versetzen, damit sich die Natur wieder erholen kann. Das ist auch eine Reflektion auf Corona – wir erinnern uns alle an diese Bilder aus Venedig, wo auf einmal das Wasser wieder klar war und die Fische wieder schwammen. Es ist aus dieser Idee geboren, aber im Endeffekt doch eine sehr gruselige Dystopie. Dieser Moment des Schlafes interessiert mich daran sehr.
Der Schlaf ist die Nacht und nach der Nacht wachen wir auf aus dem Schlaf. Wenn man aber nicht mehr aufwacht, dann wäre das fast mit dem Tod gleichzusetzen, mit der ewigen Nacht, der Dunkelheit, also eigentlich eine schreckliche Vorstellung. Im Schlaf ist man wehrlos, man ist angreifbar. Damit spielt dieses Stück auch: brennen Häuser ab? Wird man von Tieren gefressen? Was einem da alles passieren kann in so einem Augenblick. Man könnte natürlich auch sagen, »Schlaf hat etwas Heilsames. Er hat etwas Erholsames. Wir legen uns hin, um zu ruhen und wieder zu Kräften zu kommen.« Aber in diesem Fall ist der Schlaf auch eine politische Entscheidung: Ich werde in den Schlaf gezwungen. In dem Augenblick, ist der Schlaf natürlich nicht mehr erholsam oder schön, sondern er wird zum Zwang und damit zur absoluten Unfreiheit.
Die Kunst und speziell unsere Kunst, die Theaterkunst, sucht gerade: Wie gehen wir mit der Klimakrise um? Wie behandeln wir das? Was für Geschichten können wir darüber erzählen? Sollen wir mit Statistiken kommen? Oder mit Verzweiflung? Mit irgendwelchen Meinungen dazu? Das ist dann doch meistens eher unkünstlerisch und untheatralisch. Das Theater ist ja kein journalistisches Medium. Die Kunst kann sich immer wieder etwas rauspicken und versuchen, es in etwas größeres Anderes, Verdeutlichendes oder Berührendes, Ergreifendes, vielleicht auch Lustiges oder Absurdes zu verwandeln. Bei Kruckemeyer finde ich sehr schlau, dass er Spotlights auf bestimmte Menschen, Paare und Konstellationen von Menschen überall auf der Welt wirft.
Wir erleben diese Leute einmal vor dem großen Schlaf, einmal nach dem großen Schlaf, sehen deren Umstände, deren persönliche Schicksalsschläge und deren Ängste und Nöte und die Auswirkungen, die all das auf diese Menschen hat. Wir erfahren also nicht nur etwas über dieses Szenario von Apokalypse, was ja wir ja nun fast tagtäglich und überall erleben und wovon wir vielleicht auch etwas müde sind. Sondern wir erfahren das, was Theater am besten kann: Wir erfahren etwas über die Menschen. Dadurch ist das eine sinnliche, philosophische, aber auch sehr schöne und theatrale Form, mit solchen Themen wie der Klimakrise umzugehen. Und das Wort Klimakrise kommt eigentlich gar nicht vor in dem Stück.
In »Der lange Schlaf« passiert am Ende natürlich das, was man sich vorstellen kann: Den Armen geht es noch schlechter, und sie sind noch ärmer. Die in den reicheren Gebieten können das eher wegstecken. So wie wir das ähnlich im realen Leben bei Corona und auch mit der Klimakrise erleben. Im Stück gibt es also keine Antwort. Ich finde, dafür ist Kunst auch überhaupt nicht zuständig. Aber dafür, Fragen zu stellen.
Aufgezeichnet von Vera Lisakowski
Name: Christoph Mehler
Alter: 48
Beruf: Regisseur
Wohnort: Berlin
Christoph Mehler war nach einer Schauspielausbildung Regieassistent am Deutschen Theater Berlin. Dort leitete er im Anschluss die kleine Spielstätte »Box und Bar«. Von 2011 bis 2015 war er Hausregisseur am Schauspiel Frankfurt. Ab der Spielzeit 2023/2024 wird er Schauspieldirektor am Saarländischen Staatstheater in Saarbrücken. Am 26. Mai hat seine Inszenierung von »Der lange Schlaf« am Theater Oberhausen Premiere.