Am 3. Mai startet das Bühnenprogramm der Ruhrfestspiele Recklinghausen mit der Eröffnungsrede von Autorin und Übersetzerin Anne Weber und der Deutschlandpremiere von Simon McBurneys »Drive Your Plow Over the Bones of the Dead« nach dem Roman von Olga Tokarczuk – ein Stück über Aktivismus, toxische Männlichkeit und die Kraft der Poesie. Beim Tanz geben die Ruhrfestspiele auch dem Nachwuchs eine Bühne: Studierende der Folkwang Universität der Künste erarbeiten eine neue Version von Sasha Waltz’ Choreografie »In C« – eine rauschhafte Versuchsanordnung zu Terry Rileys gleichnamiger Minimal Music-Komposition.
Da sind diese Pulsschläge, die sich einhämmern in Ohr und Hirn, die sich durch Variationen und neue Muster zu einem weitschweifigen Klanggewebe knüpfen. Und dann diese Bewegungen der Tänzer*innen, die sich entsprechend wiederholen, ineinander übergehen, sich überkreuzen, voranschreiten und wieder denselben Rhythmus finden. 2021 – während der Corona-Pandemie – choreografierte Sasha Waltz Terry Rileys Minimal-Music-Partitur »In C« noch in der digitalen Version, mit ihrem Ensemble und einer Kamera, die mal die Totale filmte, mal vom Boden aus, in der Nahaufnahme oder auch aus der Vogelperspektive. Schon damals plante die Berliner Choreografin Aufführungen vor Publikum und Video-Tutorials für die Vermittlung an andere Tänzer*innen oder Laien. Im vergangenen Jahr wagten in Marl etwa 100 Laien das Choreografie-Experiment, sie ertanzten den Stadtraum. Jetzt zeigen die Ruhrfestspiele eine studentische Version von »In C«. 16 Nachwuchstänzer*innen des zweiten Jahrgangs des Instituts für Zeitgenössischen Tanz der Folkwang Universität der Künste studieren die Choreografie ein.
Es sind 53 Phrasen, aus denen die Partitur des amerikanischen Komponisten und Pianisten besteht. Weder die Anzahl der Musizierenden ist vorgegeben, noch, wie lange eine Phrase gespielt werden soll. Das offene Prinzip nimmt Sasha Waltz für ihre Choreografie als Format auf, sie kreierte 53 Bewegungsfiguren und inszenierte ein Wechselspiel zwischen sichtbarer Struktur und Improvisation. Genau dieses Konzept zwischen Komposition und Improvisation, zwischen Vorgabe und Freiheit hält Stephan Brinkmann, Professor und Leiter des Instituts für Zeitgenössischen Tanz der Folkwang Universität, für reizvoll für seine Studierenden. »Die Tänzer müssen eine eigene Entscheidung treffen, wie sie die 53 Phrasen im Raum platzieren«.
»Einladung zum Zusehen«
Sie arbeiten dafür mit Tutor*innen der Kompanie Sasha Waltz & Guests zusammen, mit Aladino Rivera Blanca und Margaux Marielle-Tréhouart, die selbst an der Folkwang Universität studiert hat. Sie ist es auch, die das Projekt angestoßen hat. Für die jungen Tänzer*innen ist es ein Gewinn. Sie lernen, vorgegebene Bewegungen aufzunehmen und umzusetzen – »eine wichtige Art und Weise, wie Sprache im Tanz vermittelt wird«, sagt Brinkmann. Und sie präsentieren ihre Arbeit auf der Bühne der Festspiele, vor einem heterogenen Publikum. Für diese Plattform ist Brinkmann dankbar.
Dieses Publikum werde keine vollendete Komposition auf der Bühne sehen. Zu beobachten ist, »wie etwas im Moment entsteht«. Als »Versuchsanordnung« beschreibt Brinkmann den Abend, als eine »Einladung zum Zusehen«. Dafür brauche es auch spielerische Begeisterung. Bei »In C« begeben sich Musik und Tanz gemeinsam in einen Rausch der Repetition. Kostüme und Bühne leuchten bunt, die Stimmung ist getragen von ausdauernder Energie.
Sasha Waltz erklärte damals im Video das Ensemblestück zum Spiegel unserer Zeit. Es gehe um die Freiheit des Individuums, die das Kollektiv aber nicht gefährden darf. Solch ein Ernst der Lage war auf der Bühne allerdings kaum spürbar. Die Bewegungen bleiben bei »In C« vor allem abstrakte und entwickeln gerade deshalb im Zusammenhang mit der komplexen Musik eine tranceartige Sogwirkung.
Ruhrfestspiele Recklinghausen
»Drive Your Plow Over the Bones of the Dead«, 3.-6. Mai
»In C«, 30. Mai bis 1. Juni