Lucinda Devlin dokumentiert Orte des Vergnügens und des Grauens. Eine Werkübersicht der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur im Kölner Mediapark zeigt das Gesamtschaffen der Amerikanerin.
Ob OP-Raum, römisches Bad, Massage-Salon oder Whirlpool im Honeymoon-Hotel – die Motive, die Lucinda Devlin in ihren Fotografien festhält, haben in vielerlei Hinsicht mit Gesundheit und Entspannung zu tun. Wohlige Wellness allerdings strahlen die Bilder nicht aus. Ganz im Gegenteil. Bei der Betrachtung der meist menschenleeren Interieurs kann einen leicht frösteln. Streng sachlich, mit geradezu klinischer Präzision legt die US-Fotografin Räume gleichsam unters Mikroskop ihrer Sicht auf die Welt. Vergnügungsstätten wie Pool, Sauna und Massage, denen Devlin die Serie »Pleasure Ground« (1977-1990) gewidmet hat, fotografiert sie mit derselben wissenschaftlich-ungerührten Akribie wie Orte des Grauens – ihr bekanntester Zyklus »The Omega Suites« (1991-1998) konfrontiert uns mit Hinrichtungsräumen in US-amerikanischen Gefängnissen.
Wie weitgefächert das Werkspektrum der 1947 geborenen Künstlerin ist, das verdeutlicht die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur im Kölner Mediapark mit der Retrospektive »Frames of Reference«. Mit Deutschland verbindet die in Belmont, North Carolina, lebende Künstlerin einiges: 1999 brachte sie ein DAAD-Stipendium nach Berlin – damals begann die Arbeit an ihrer Serie »Water Rites« (bis 2002), deren Motive sie in deutschen Kurbädern fand. Von den zwei Galerien, die Lucinda Devlin vertreten, stammt eine aus Bochum: Einer Kooperation mit Susanne Breidenbachs Galerie m entsprang auch die Ausstellung der Photographischen Sammlung.
Neben den Serien »Pleasure Ground«, »The Omega Suites« und »Water Rites« präsentiert die Leiterin Gabriele Conrath-Scholl sechs weitere Zyklen, die das weite Feld zwischen Zivilisation und Natur vermessen: Geht es in »Corporal Arenas« (1982-1998) und »Subterranea« (seit 1980) um Räume, die oft mit medizinischen Eingriffen, Heilung und Therapie in Zusammenhang stehen, so erkundet Devlin in »Habitats« (seit 1985) die Lebenswelt der Tiere. Typisch für sie, dass diese Farbfotografien nicht in freier Wildbahn entstanden sind, sondern in Zoos und künstlichen Unterwasserwelten. Zugespitzt formuliert: Auch wenn die Aufnahmen Tiere zeigen, geht es vor allem um Menschen.
Wie die Agrarindustrie Landwirtschaft als bis zum letzten Grashalm auf Profit getrimmtes System betreibt, inklusive Monokulturen und Gentechnik, davon handelt die Serie »Field Culture« (seit 2007). Weniger genormt erscheinen dagegen die »Lake Pictures« (Schauplatz der 2010-2019 fotografierten Serie ist der riesige Lake Huron) und »Salt« (Salzseen in Utah, seit 2014). Obwohl man hier sogar Fotos entdecken kann, die unserem klassischen Verständnis einer schönen, gar romantischen Landschaft entsprechen, ist die Natur bei Lucinda Devlin stets exakt durchkomponiert. Ihre Kamera nimmt die Motive frontal ins Visier, zielt auf ein ausgewogenes, klar strukturiertes Ganzes. Bei den Seelandschaften liegt der Horizont genau in der Mitte der Fotografie. Verpönt sind Effekte und Inszeniertes. Zum Ideal des ausbalancierten Bildes passt das von ihr bevorzugte Format des Quadrats: Betonen Hoch- und Querformat – die bevorzugten Dimensionen der Fotografie – eine Richtung, so bleibt das Quadrat allseits neutral.
Mit ihren systematischen Serien knüpft Lucinda Devlin an die dokumentarische, konzeptuelle Fotografie an, wie sie durch Bernd und Hilla Becher begründet wurde. Verstand das Düsseldorfer Fotograf*innen-Paar seine »Typologien« mit Fördertürmen, Hochöfen oder Gasometern als Archäologie der Industrie-Architektur des frühen 20. Jahrhunderts, so bewahrt auch Devlin in ihrer Serie »Pleasure Ground« Spuren einer vergangenen Epoche, in diesem Fall der 80er und 90er Jahre. Zwischen 1977 und 1996 führten sie Streifzüge in Clubs, Spa-Zonen, »Cupid Rooms«, Peep-Show-Kojen und Striptease-Bars. Die aufdringliche Gestaltung dieser frivolen, teils zwielichtigen Vergnügungsräume spiegelt den Zeitgeist der Disco-Ära. Der Begriff ‚Rotlichtmilieu‘ ist bei diesen Fotografien wörtlich zu nehmen, zeigen doch sämtliche Aufnahmen menschenleere Räume, die in ein intensives, gewollt erotisch aufgeladenes Rot getaucht sind. Von Erotik jedoch findet sich keine Spur in den Bildern. Stattdessen blicken wir auf Relikte eines Hedonismus, der nicht Jahrzehnte, sondern Jahrhunderte zurückzuliegen scheint.
Die Vorliebe für verwaiste Innenräume teilt Lucinda Devlin mit ihrer drei Jahre älteren Kollegin Candida Höfer, eine der renommiertesten Fotograf*innen der Becher-Schule. Wie Höfer begann auch Devlin mit Fotografien von Menschen, die später aus dem Repertoire verbannt wurden. Was nicht bedeutet, dass Menschen in diesen Werken keine Rolle spielen. Vielmehr dienen die Interieurs als deren Stellvertreter. Beinahe so, als würde ein Bühnenbild bereits alles Notwendige über ein Stück aussagen, weshalb die Schauspieler*innen entbehrlich sind.
»Meine Arbeiten spiegeln die Werte der amerikanischen Kultur und die Annahmen derjenigen, die diese Räume gestalten – sie spiegeln ihre Annahmen darüber, was ihrer Meinung nach mit Vergnügen zu tun haben könnte.«
Lucinda Devlin
Immer wieder gelingen Devlin Fotos, die in formaler Hinsicht perfekt anmuten. Das gilt etwa für den herzförmigen Whirlpool, den sie 1980 im Pocono Palace Resort, einem Wellness-Hotel in Stroudsburg, Pennsylvania, verewigte. Wegen der beengten Raumverhältnisse platzierte sie ihre Kamera auf dem Boden der Wanne. Das Objektiv richtete sie auf den darüber installierten Deckenspiegel. Per Selbstauslöser entstand so ein Bild, das den Whirlpool mitsamt der Lichtergirlande, die ihn einfasst, aus der Vogelperspektive übersichtlich einfängt.
Von vergleichbarer kompositioneller Vollkommenheit ist das Bild »Operating Room #8, Forrest General Hospital, Hattiesburg, 1998«, das zur Serie »Corporal Arenas« gehört. Diese Folge, so Devlin, »entstand aus einem Erlebnis, das ich hatte – meine Mutter starb, als ich in der High School war, und wir mussten einen Sarg aussuchen. Diese Erfahrung hat mich viele, viele Jahre lang begleitet.« In einem abgedunkelten Raum wird der OP-Tisch von einer Deckenlampe so magisch und hoheitsvoll angestrahlt, dass man sich fühlt, als stünde man vor einem Altar. Menschen sind auch hier keine zu entdecken. Sie würden wohl auch stören, denn diese makellose Raumstudie genügt sich selbst.
Der OP-Raum erinnert an die Hinrichtungsbahren ihrer Serie »The Omega Suites«, mit der die Künstlerin in den 1990er Jahren bekannt wurde. Die Präsentation bei der Biennale von Venedig 2001 rückte Devlin schlagartig ins Zentrum der Aufmerksamkeit des internationalen Kunstbetriebs. Bei Debatten über die Todesstrafe kamen die Fotosn, die sie zwischen 1991 und 1998 in rund 20 US-Gefängnissen machte, wiederholt als Illustration zum Einsatz. Die rund 30 Bilder als Kritik an der drakonischen Strafe zu interpretieren, hieße jedoch, sie misszuverstehen. Obwohl die Künstlerin selbst gegen die Todesstrafe ist, prangern ihre Aufnahmen nicht an. Elektrische Stühle, Gaskammern, OP-Tische zur Verabreichung der Todesspritze, Zellen, in denen die Sträflinge auf die Exekution warten, Räume, wo Zeugen die Hinrichtung verfolgen – all diese makabren Motive werden mit scheinbar stoischer Gemütsruhe in Szene gesetzt. Vielleicht ist gerade diese Reserviertheit der Grund, weshalb einen diese Impressionen einer ebenso fremden wie befremdlichen Welt umso nachhaltiger erschüttern.
Lucinda Devlins »The Omega Suites« fordert den Vergleich mit einem anderen Meister der Indifferenz geradezu heraus; die Rede ist von Andy Warhol, dessen Siebdruck-Serie »Electric Chair« von 1963 als Teil der »Death and Disaster paintings« für Furore sorgte. Wie kann jemand, der banale Suppendosen oder verführerische Posen von Marilyn Monroe zum Serienmotiv macht, etwas so Grausames wie einen Elektrischen Stuhl mit professioneller Neugier zum Kunstgegenstand nobilitieren, ohne weltanschaulich Stellung zu beziehen? Das fragten sich viele Bewunderer Warhols. Und diese Frage lässt sich auch vor Devlins Ansichten aus dem Maschinenraum der Exekution kaum unterdrücken.
Die Antwort hat mit dem Unterschied von Fotojournalismus und Kunst zu tun. Fotojournalismus bezieht Stellung, ergreift Partei. Bei Kunst ist das nicht notwendig der Fall. Offensichtlich gehört Devlin nicht zu jener wachsenden Zahl von Künstler*innen, die glauben, die Welt verbessern zu müssen – oder zu können. Insofern ist ihre Kunst, die im Gewand der Dokumentarfotografie daherkommt, l’art pour l’art. »Die Omega Suites«, erklärt Devlin, »stellen zwar Hinrichtungskammern dar, aber machen letztlich nicht die Erfahrung der Hinrichtungskammer aus. Sie sind eine Einheit für sich.« Mehr noch: »Wenn man die Fotos ansieht, sind sie auf eine gewisse Weise wunderschön«, meint die Fotokünstlerin. Bei allem Verständnis für die Eigengesetzlichkeit der Kunst: Dieses Urteil nachzuvollziehen, fällt schwer.
»Lucinda Devlin – Frames of Reference«
Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur, Köln
bis 16. Juli