Das Kölner Acht-Brücken-Festival porträtiert die englische Komponistin Rebecca Saunders. Neben zahlreichen Uraufführungen gibt es auch Opern und selten zu hörende Meisterwerke des 20. Jahrhunderts.
Rebecca Saunders hat ein Herz für irische Literatur. Besonders zwei Schriftsteller haben ihre Spuren im Schaffen der Engländerin hinterlassen: An James Joyce und speziell seinem Jahrhundertroman »Ulysses« fasziniert sie dieses »Gewebe aus zahllosen Pfaden von Erzählungen, Gedanken und Momenten«. Bei Samuel Beckett hingegen taucht die Komponistin in eine völlige andere Welt hinein – in eine karg anmutende, von allem Gedanken-Überfluss gereinigte Welt. Wie Saunders auf Tuchfühlung zu diesen beiden gegensätzlichen Ikonen der Moderne gegangen ist, kann man im Rahmen des Kölner Acht-Brücken-Festivals bisweilen ganz fein erlauschen. Im Mittelpunkt ihres 80-minütigen, raumbezogenen Performance-Stücks »Yes« steht der große Monolog der Molly Bloom aus Joyces Opus Magnum. Zusammen mit dem von Enno Poppe geleiteten Ensemble Musikfabrik übersetzt Sopranistin Juliet Fraser den Text in eine geheimnisvolle Tonsprache des Ein- und Ausatmens, des Flüsterns.
Ähnlich fragil geht es in dem Streichquartett »Unbreathed« zu. Wobei die Texte von Beckett diesmal unhörbar bleiben, weil sie lediglich für die Interpret*innen als atmosphärischer Leitfaden in der Partitur hinterlegt wurden. Doch auch hier entwickelt sich in dem Grenzbereich zwischen Stille und Nicht-Stille ein Klang, der dank zahlloser neuer Spieltechniken eine geradezu existenzielle Wucht besitzt. Schließlich ist für Saunders das Komponieren nicht nur geistige Arbeit, sondern auch ein sinnliches Erlebnis. »Und das wiederum kommuniziert sich an die Musiker und das Publikum weiter«, so die längst in Berlin lebende Komponistin. »Wenn ein Instrumentalist meine Musik spielt, dann fühlt man diese physischen Kräfte auf der Bühne, den Menschen und seinen Körper, der die Musik zum Klingen bringt.«
Motto: Musik oder Nichts
Bei der 13. Ausgabe des Acht-Brücken-Festivals bilden Saunders’ Klang-Körper denn auch einen Schwerpunkt. Immerhin wird sie in diesem Jahr mit einer umfangreichen Konzertreihe geehrt. Und gleich zu Beginn ist eine ihrer wohl spektakulärsten Arbeiten zu hören und zu sehen. In der Kunst-Station Sankt Peter wird ihre Klanginstallation »Myriad« gezeigt, die 2015 für die Architekturbiennale im chinesischen Shenzhen entstanden ist und bei der nun auf einer großen Plexiglaswand 2464 nebeneinander angeordnete Aufziehschlüssel von Spieldosen herausragen. Diese Spieldosen werden von Musikern des Ensemble Mosaik gespielt und mit Solo- und Duostücken von Saunders kombiniert.
Unter dem Motto »Musik oder Nichts« steht in diesem Jahr das Festival. Alleine die nackten Zahlen – über 90 Stunden neue Musik (darunter 36 Uraufführungen) in 50 Veranstaltungen – unterstreichen die alte Nietzsche-Gewissheit, dass das Leben ohne Musik ziemlich sinnlos und öd wäre. Dementsprechend ist das Festival-Programm eine Wundertüte voller Hörabenteuer. Von Altmeister Helmut Lachenmann über den Opernkomponisten George Benjamin bis zur Jazzsängerin Zola Mennenöh reicht da der Bogen. Dirigent Ingo Metzmacher spannt das Ensemble Modern und die Junge Deutsche Philharmonie für das selten aufgeführte Orchesterwerk »Les espaces acoustiques« des französischen Spektralisten Gérard Grisey zusammen. Während das E-MEX-Ensemble die Musik von Morton Feldman zu Samuel Becketts experimentellem Radiohörspiel »Words and Music« aufführt, kommt es in der Kölner Philharmonie unter Garantie zu einem Big Bang! Wenn das Raschèr Quartett mit dem Gürzenich-Orchester Köln unter François-Xavier Roth ein flamm-neues Saxofon-Konzert aus der Taufe hebt, das aus der Feder des Death-Metal-Fans Bernhard Ganders stammt.
Musik oder Nichts: Acht Brücken. Musik für Köln
28. April bis 7. Mai 2023