Nur eine Überschrift bietet sich an für Robert Schwentkes Film, und dass sie nicht allein einem Kritiker zu »Seneca« eingefallen ist, bedeutet nicht, dass sie nicht originell und treffend wäre: »Being John Malkovich«, Titel des 1999 gedrehten Films von Spike Jonze als Reise in den Kopf des als ebenso intellektuell wie theatral geltenden Großkünstlers mit dem maliziös gespitzten Mündchen.
Aber keiner hat es so bissig formuliert wie Andreas Kilb in der FAZ anlässlich der Berlinale-Präsentation: »Seneca« sähe aus, »als hätte Christoph Schlingensief ein Drehbuch von Peter Greenaway verfilmt«. Womit gesagt sein soll: Das anarchisch wilde und das sich klügelnd verzettelnde Denken gehen eine nicht unbedingt harmonische Verbindung ein.
Seneca: römischer Philosoph, Stoiker und Lehrer des jungen Nero, der mit 16 Kaiser wird und die Seinen – Ehefrau, Mutter et alii – nach und nach umbringen lässt. Schließlich auch fällt Seneca in kaiserliche Ungnade, verdächtig der Verschwörung, und der ehemalige Schüler fordert seinen »life coach« und »Ghostwriter«nach gut römischer Sitte auf, sich von eigener Hand den Tod zu geben.
Paroles, Paroles – bis zum letzten Sterbenswörtchen. »Du hast genug geredet! Und wir haben genug gehört!« Empfindet nicht nur der puttenhafte Imperator (Tom Xander), sondern auch der Seneca als letztes verbliebene Adlatus Lucius, der es müde ist, sich zutexten zu lassen und die Monologe des Alten zu ertragen, während Theorie und Praxis, Weisheitslehre und realpolitische Praxis, Humanitäts-Appell und skrupelloses Kalkül weit voneinander abgerückt sind.
Geist und Macht – das alte garstige Lied, neu angestimmt. Seneca, einflussreich und wohlhabend geworden unter der Cäsarensonne, hatte in einem exklusiv halb öffentlichen gezeigten Stück namens »Thyestes« sich über Nero mokiert und ihn als Blut-Schurken vorgeführt, ohne sich von ihm loszusagen, sei es aus vor-machiavellistischer Einsicht, sei es aus kompromisslerischem Opportunismus, den er wortreich zudeckt. Nun muss er die Folgen tragen.
Schwentke, der neben Malkovich und der Castorf-Muse Lilith Spangenberg auch die gespensterhaft greise, aber herrlich agile Geraldine Chaplin als Lady Lucia aufbietet, interessiert sich für die Mechanismen der Anpassung unter die Autorität, die mehr ist als Mimikry, sondern das Wesen des Menschen verändert. Das hat bereits vor fünf Jahren sein Film »Der Hauptmann« zu untersuchen versucht, darin ein Wehrmachtsdeserteur sich mittels einer gefundenen Offiziersuniform in die Autorität kleidet bzw. sie verkörpert – eine existentiell-tragische Variante der preußischen Kostüm-Komödie um den »Hauptmann von Köpenick«, über dessen authentische Vorlage damals ganz Berlin und der Kaiser selbst gelacht haben sollen. Aber statt die Mechanismen aus kritischer Distanz aufzuzeigen, wiederholt Schwentkes plakative und symbolschwere Methode der Darstellung sie.
Schrill, grotesk, parodistisch überzeichnet, ist »Seneca« als Film – und als Person ein Popanz. Ein »Affe der Macht«, so hat Klaus Mann seinen »Mephisto« Hendrik Höfgen apostrophiert, der umso mehr schillert, als das Licht des Machthabers ihn blendet. Dass hier kein historisch fernes Drama erzählt, sondern – in den Wüstensand eines Sandalenfilms gesetzt und mit einigem fellineskem Flitter geschmückt – Gegenwart illustriert werden will, ist nicht nur an szenischen Anachronismen erkennbar, sondern auch an der Anrede Neros als »Präsident« einer Supermacht. Nein, »das Kino bebt« nicht, wie es der »Seneca«-Trailer werbend anpreist, sondern es zuckt und zimpert bloß.
»Seneca«, Regie: Robert Schwentke, D 2023, 110 Min., Start: 23. März