AnnenMayKantereit veröffentlichen ihr viertes Album: »Es ist Abend und wir sitzen bei mir«. Ein Gespräch über die Entstehung, über Freundschaft und Straßenmusik.
Seitdem AnnenMayKantereit 2016 ihr Debüt »Alles nix Konkretes« veröffentlichten, wurden alle Platten Chart-Erfolge und die Hallen immer größer. Nun folgt Album Nummer vier, »Es ist Abend und wir sitzen bei mir«, und auch das überzeugt wieder mit einzigartiger Alltags-Lyrik zum geschmeidig-groovigen Indie-Rock. Die Gründungsmitglieder Severin Kantereit und Christopher Annen erzählen, wie es entstand und welche Rolle Freundschaft und Straßenmusik für sie spielt.
kultur.west: Ihr neues Album beginnt mit Zeilen wie »Lass es kreisen, lass es raus. Du musst dich mal wieder richtig bewegen.« Das klingt nach einem direkten Verweis auf das Album zuvor, »12«, das Sie während der Pandemie veröffentlichten und das sehr melancholisch geriet. Sind Leben und Tanzwut wieder zurück?
SEVERIN KANTEREIT: Auf jedem Fall. »12« war ja für uns so ein Album, was aus dem Moment heraus entstand. Das war gar nicht geplant. Wir saßen isoliert zu Hause. Hatten irgendwie Bock, Musik zu machen. Und haben eine ganz neue Art des Musikmachens erfahren, indem wir Sachen hin- und herschickten. Und dadurch ist dann dieses auch für uns sehr melancholische, eher experimentellere Album entstanden. Auf »12« befinden sich ja keine Hits im klassischen Sinne. Wir hatten uns damals gedacht: »Diese Platte muss irgendwie die aktuelle Stimmung einfangen.« Und somit war es uns beim neuen Album viel leichter möglich, wieder ein bisschen beschwingter und positiver an die Sache zu gehen.
CHRISTOPHER ANNEN: Und Corona hinter uns zu lassen.
kultur.west: Trotzdem gibt es auch auf der neuen Platte ein eher schweres Stück wie »Die Tage am Meer«. Darin geht es um den Wunsch, mal alles runterzufahren, um zu sich selbst zu finden. Fakt ist: Sie spielen mittlerweile in Arenen und werden Ihre kommende Tour im Kölner Stadion beenden. Inwieweit wird Ihnen dieser ganze Trubel auch mal zu viel?
KANTEREIT: Wir spielen ja nicht nur Konzerte und schreiben Musik, sondern machen mittlerweile unser Management selbst, haben ein eigenes Label. Und da sprechen wir natürlich über so etwas wie: Wo sind die Grenzen der Kapazität? Daraus entstehen dann wiederum Songs wie »Drei Tage am Meer«. Aber wir drei haben, seitdem wir Musik machen, eine ganz gute Grundlage, auch mal sagen zu können: »Leute, ich muss mich mal kurz hier rausziehen.« Da geht es um Freundschaft. Unsere Freundschaft muss über allem stehen. Die ist gesetzt. Würde das nicht passen, dann könnten wir den ganzen Kladderadatsch drumherum vergessen.
kultur.west: Wie schwierig ist es denn, sich – so wie Sie – vom vereinnahmenden Musikbusiness abzunabeln?
ANNEN: Das ist auf jeden Fall eine ziemlich große Herausforderung. Wir müssen uns in Vieles hineindenken. Aber das ist positiver Stress. Denn es kann ja andersrum auch negativer Stress sein, aus allem rausgehalten zu werden und nicht genau zu wissen: »Was passiert hier eigentlich um mich herum?«
kultur.west: Der Titel des Albums, »Es ist Abend und wir sitzen bei mir«, kommt nicht von ungefähr: Es heißt, dass Sie Ihren Freundeskreis zu den Aufnahmen eingeladen haben.
KANTEREIT: Ja. Uns war es wichtig, dass wir mal aus unserer Musik-Bubble rausgehen. Wir haben das Album in unserem Proberaum aufgenommen. Davor waren wir mal in den Hansa-Studios in Berlin und in Spanien. Immer irgendwo anders also. Jetzt hatten wir Lust, zu Hause zu sein. In Köln. Hier ist unser enges Umfeld. Hier haben wir einen großen, gemeinsamen Freundeskreis. Und den haben wir eingeladen. Das sind Leute, die wir schon ewig kennen und von denen wir wissen: Wenn die einen Song hören und den irgendwie schlecht finden, dann sagen sie es uns auch. Das ist dann eine ehrliche Kritik. Wobei das noch nichtmal im Mittelpunkt stand.
kultur.west: Sondern?
KANTEREIT: Es ging um die Atmosphäre. Die war schön entspannt, zumal im Sommer. Und das spiegelt sich in den Aufnahmen der Songs wider.
kultur.west: Apropos Songs: Die zielen bei Ihnen nicht klassischerweise auf die Masse ab. Wie erklären Sie sich dennoch Ihren so großen Erfolg?
KANTEREIT: Ich glaube, dass die Menschen mit uns immer auch die Tatsache verknüpfen, dass für uns die Straßenmusik ganz essenziell war: Auf der Straße stehen. Live spielen. Leute gehen vorbei. Und wir merken: Bei manchen Liedern gehen sie weiter. Bei manchen aber bleiben sie stehen – da muss jetzt also irgendwas dran sein, das wir weiterentwickeln sollten. Und auch wenn es mittlerweile elf Jahre her ist, dass wir in Köln auf der Schildergasse standen, so haben wir seitdem doch extrem viele Konzerte gespielt. Und haben die Leute so, salopp gesagt, ein bisschen an uns gebunden. Das ist die Basis, auf der alles gewachsen ist.
kultur.west: Dann haben Sie irgendwann dieses eine Stück geschrieben, das sich auch auf der neuen Platte befindet: »Tommi«. Eine Ode auf Köln, die zuletzt eben dort zur Karnevalszeit rauf- und runterlief in Kneipen und Sälen. Hand aufs Herz: Ist »Tommi« nicht nur Segen, sondern auch Fluch – weil Sie jetzt von der Karnevalsmaschinerie vereinnahmt werden?
ANNEN: Wir haben uns tatsächlich am 11.11. auf den Heumarkt gestellt und die Session mit »Tommi« eröffnet. Und das war auch ein Traum von uns. Aber das soll auch der einzige Karnevalsauftritt gewesen sein! Denn in der Tat ist man da sehr schnell in dieser Bubble drin und kommt dann nur schwer wieder raus.
KANTEREIT: Für uns hat dieses Stück einfach eine krasse Dynamik bekommen. »Tommi« schafft mit uns als Band einen wahnsinnigen Köln-Bezug. Und wenn dann neben dem Karneval auch noch ein Fußball wie in unserem neuen Song »Kein Stern« dazukommt, ist Köln vollends da (lacht). So etwas Verbindendes gibt es ja in anderen Städten nicht. Es ist einfach unfassbar schön, so etwas auszulösen. Ich denke jedenfalls, dass wir so etwas hier und da durchaus mal bedienen können – und trotzdem um das gefährliche Pflaster wissen. Wir haben noch nie aus irgendeiner Kurzschlussreaktion heraus Dinge gemacht, die wir hinterher komisch fanden.
Das Album »Es ist Abend und wir sitzen bei mir« erscheint am 3. März.
Die Deutschlandtour startet am 17. März und endet am 9. September im
RheinEnergieStadion Köln.