Mit der Adaption des surrealistischen Films »Der Würgeengel« probiert Johan Simons – mit 76 Jahren – noch einmal etwas Anderes, Neues. Eigentlich aber ist es eine Rückkehr zu seinen Theateranfängen. Bekannt ist Bochums regieführender Intendant vor allem für die Umsetzung großer Erzählwerke – antike Dramen, Shakespeare, Kleist, Büchner –, in denen sich die Körper immer auch der Sprache aussetzen (müssen). Jetzt, beim »Würgeengel«, bleiben ihm gerade einmal 25 Minuten Text in einer anderthalbstündigen Inszenierung. Aber Simons ist seit der Schauspielschule ein Fan von Luis Buñuel und vom Surrealismus. Er habe sogar Buñuels Wohnhaus im spanischen Calanda besucht, erzählt der Regisseur. Und die Beschäftigung mit dem Absurden ist Simons Antwort auf die komplexer gewordene Welt: »Unser Leben ist absurd«.
Und dann erzählt er im Gespräch von einem Mitarbeiter am Schauspielhaus, dessen Frau vier Verwandte beim Erdbeben verloren habe, das vor wenigen Tagen in der Türkei und Syrien tausende Opfer forderte und so viel Zerstörung brachte. Er erzählt, dass er jetzt in seinem Alter gefühliger werde, eher weine, viel schneller gerührt sei. Seine Haut werde dünner. Und er spricht von seinen zwei Söhnen, mit denen er am Wochenende Fußball in Paris geschaut habe und die ihn damit konfrontiert hätten, dass sein Verhalten als Vater nicht immer das Beste gewesen sei. Sentimental werde er also nicht. So offen und im positiven Sinne durchlässig zeigt sich Simons, dass sich gut nachvollziehen lässt, was er meint, wenn er von einer »komplexen Spielweise« spricht, die heute nötig sei auf der Bühne. Sich öffnend, um wahr zu sein.
Darum »Der Würgeengel«, er passt in die Zeit. In Buñuels Film von 1962 überfällt die Mitglieder einer Festgesellschaft eine seltsame Lähmung. Nach dem Opernbesuch treffen sie sich in einer Villa, um den Abend mit einem gemeinsamen Essen ausklingen zu lassen. Aber sie können den Raum nicht mehr verlassen. Keine Chance. Sie sind Eingeschlossene, »zueinander Verurteilte«, wie Simons sie beschreibt. »Wir sind heute auch zueinander verurteilt, weil wir realisieren, dass ein riesiges Problem über uns schwebt. Wir sehen das Ende der Menschheit.« Genug Grund zur Panik.
Gefangene im Klassenzimmer
Bühnenbildner Johannes Schütz hat für die beklemmend absurde Situation ein Klassenzimmer mit Schulbänken und kleinen Schulstühlen entworfen. Einen Erinnerungsraum, erklärt Simons, »in dem wir uns fragen, was wir eigentlich aus unserem Leben gemacht, was wir zur Krise beigetragen haben«. Die illustre Gesellschaft reduziert Simons auf fünf Darsteller*innen (und ein Kind). Sie spielen alle sich selbst, tragen ihre realen Namen, damit die Geschichte dicht an uns heranrücke.
Unter ihnen ist die fantastische Schauspielerin Sandra Hüller, mit der Simons eine mittlerweile fast 15 Jahre lange künstlerische Zusammenarbeit und »tiefe Freundschaft« verbindet. Unter seiner Regie war sie ein preisgekrönter Hamlet (2019) und Penthesilea (2018) im Kampf der Geschlechter mit Jens Harzer. Bei der Ruhrtriennale vollführte sie 2015 in der Zeche Lohberg mit Benny Claessens ein lustvoll-gewaltsames Duett, blieb in ihrer Zerbrechlichkeit immer standhaft und erhaben. Sie habe diese Aura, sagt Simons. Es ist der ständige Versuch, wahr zu sein auf der Bühne, der Simons überzeugt, nein, der ihn überwältigt, ins Schwärmen bringt. Es ist diese Dünnhäutigkeit, die er zurzeit an sich selbst beobachtet und die Sandra Hüller schon in viel jüngeren Jahren als Schauspielerin mit sich bringe. Es ist genau das, wonach Simons für sein »Theater als Kunst des Moments« sucht.
Moritz Bossmann, der als Musiker schon häufig mit Sandra Hüller auf der Bühne stand, zum Beispiel in »Bilder deiner großen Liebe«, komponierte mit Steven Prengels die Musik für den Abend, der in Koproduktion mit dem Schauspiel Leipzig entsteht. »Psalmen und Popsongs« ist er untertitelt. Popsongs, weil sie das heutige Lebensgefühl transportierten. Weil jeder seine eigene Geschichte mit ihnen habe. Und Psalmen, weil er selbst mit ihnen erzogen wurde, sagt Simons. Es gehe auch um die Suche nach Gott, als vielleicht letzte Rettung in dieser großen Krise.
Premiere: 3. März
weitere Termine: 4. und 18. März