»Der Traum ist aus. Aber ich werde alles geben, dass er Wirklichkeit wird«, singen zu Anfang Florian Paul & Die Kapelle der letzten Hoffnung den Song von Rio Reiser.
De Traum beginnt im Sommer 1969 im thüringischen Oberellen – eine Familienfeier in der DDR. Aus dem Westen dabei ist Karl-Heinz. Zwischen ihm und der ostdeutschen Hedi funkt es: Romantik, Erwartungen, Sehnsucht, Briefe, konspirative Treffen, Jahre des Wartens und der Ungewissheit – getrennte Welten. Sie habe, erzählt Hedi, nach dem ersten Abschied von Karl-Heinz bei sich Beethovens Fünfte gehört – die Schicksalssinfonie; aber, hängt sie es gleich niedriger, sehr viele Platten habe sie nicht zur Auswahl gehabt.
Historisches Bildmaterial, die Revolte der Sechziger, Vietnam, Willy Brandt, Nixon, Fidel Castro und Breschnew, der Mondflug, die Marschkörper der Roten Armee, Szenen von Sport, Pop und Politik mischen die deutsch-deutsche Geschichte in »Sorry Genosse« auf.
Mit der Abiturklasse reist Karl-Heinz 1970 nach West-Berlin. Sie wollen sich am Schnittpunkt in der geteilten Stadt wiedertreffen, aber verpassen sich. Hedi im extra für den Anlass geschneiderten Minirock und Maxi-Mantel. Die Post hatte schlicht einen Brief nicht zugestellt, der den Verabredungstermin korrigieren sollte. In Leipzig 1971 klappt es dann, danach öfter in Prag und Bulgarien.
Karl-Heinz war vielleicht ein bisschen wie Holden Caulfield, der »Fänger im Roggen«, der Anti-Spießbürger. Er opponiert und politisiert sich, beginnt das Studium in der roten Metropole Frankfurt, zieht in eine WG, demonstriert. Er scheint dem kapitalistischen Westen gegenüber systemkritischer zu sein, als sie es ist, die mit der sozialistischen Ideologie oder Utopie aufwächst. Hedi studiert Medizin in Jena und wird auffällig und gemaßregelt, als der Westbesucher bei ihr nächtigt. Zwei äußerlich bestimmte Lebensmodelle – mit mehr Übereinstimmung als Trennendem.
Auch wenn es schwierig ist und fast unmöglich scheint, der zottelhaarige Karl-Heinz spricht bei den DDR-Behörden (»Zuzugsstelle«) vor und will übersiedeln: Eher unfreundlich und misstrauisch beargwöhnt wird er statt von einer »Willkommenskultur« umworben. Jedoch interessiert sich die Stasi für ihn, hofiert ihn und bewertet ihn als »emotional links, kaum Lebenserfahrung, leicht beeinflussbar etc.«. Offenbar hofft man, ihn als Spion einsetzen zu können. Er wird als IM angeworben mit dem Tarnnamen »Egon«, auch wenn er die Offerte für sich ablehnt. Das Anekdotische muntert in »Sorry Genosse« gern das Dramatische auf.
Die Spannung zerreißt ihn, zerreißt beide, so dass nur ihre Republikflucht als Lösung bleibt. »Schritt für Schritt ins Paradies«, um es mit der Rockband Ton Steine Scherben zu sagen. Mit einer raffiniert ausgetüftelten, komplizierten Dokumententäuschung und einem Personentausch mit der westdeutschen Freundin Gitti soll es via Bukarest nebst einigen Aus- und Einreisen vonstatten gehen. Trotz Misslichkeiten gelingt die Aktion, die im Film halb sachlich präzise, halb komödienhaft nacherzählt und nachgestellt wird. Die Beiden berichten und lesen vor der Kamera aus ihren frühen und jungen Briefen, die mehr und anderes sind als nur Liebesgeflüster, schauen von heute zurück, besuchen für sie bedeutungsvolle Schauplätze und Stationen, blättern ihr privates Fotoalbum auf. Es ist ein ernsthafter, bisweilen beinahe herzig naiver Reigen, in dem sich das Zeitgeschichtliche personalisiert und das persönlich Biografische beispielhaft wird. Hedi und Karl-Heinz sind ihre eigenen Zeugen im Prozess als dem unvorhersehbaren Verlauf des Lebens. Geschick im Doppelsinn des Wortes. Happyend mit Feuerwerk – und einem Lachen auslösenden Versprecher am Schluss.
»Sorry, Genosse«, Regie: Vera Brückner, 94 Min., D 2022, Start: 9. Februar; 6. Februar, Köln, Filmhaus, 20 Uhr, NRW-Premiere in Anwesenheit der Regisseurin; 7. Februar, Bonn, Arthaus-Kino im Rheinischen Landesmuseum, 19.30 Uhr, ebenfalls mit der Regisseurin