Das Jazzfestival Münster ist ein sicherer Hafen in einer Welt, die sich immer unsicherer anfühlt. Natürlich hat es wie alle Kultureinrichtungen Corona-Blessuren davon getragen, musste zwei Jahre pausieren, aber jetzt geht es wieder im Theater Münster über die Bühne wie seit Jahr und Tag – genauer: 1979. Bevor der erste Ton erklingt, schallt die Stimme des künstlerischen Leiters Fritz Schmücker durch den Raum, der die Zeichen der Zeit erkannt hat, und ein Programm aufgestellt, das viel weiblicher ist als in wahrscheinlich allen Jahren zuvor.
So wird der Festival-Freitag, der mit seinen vier Konzerten schon eine ungeheure stilistische Bandbreite eröffnete, von Bandleaderinnen dominiert. Die erste in der Riege, die Britin Laura Jurd, ist eine Entdeckung des Festivals, stand hier 2015 das erste Mal auf der Bühne. Sie spielt Kornett und Klavier, manchmal sogar gleichzeitig, und leitet mit ihren warmen, klaren Tönen ein Sextett aus weiteren Bläsern, Gitarre, Bass und Schlagzeug an. Manchmal hängen ihre Mitmusiker*innen so sehr am Blatt, wirken etwas steif und die Wechsel in den komplexen Kompositionen zu konstruiert.
Ort für Entdeckungen
Doch was grenzenlose Freiheit heißt, zeigt schon das folgende Trio: Pianistin Aki Takase, Klarinettist Louis Sclavis und Schlagzeuger Han Bennink sind alt gediente (Free-)Jazzer (Bennink wird dieses Jahr 80 Jahre alt) und sprengen vor allem in einen Part aus drei aufeinanderfolgenden Soli Grenzen: Takase wütete auf einem präparierten Klavier, ohne aber je ganz die Form zu verlieren, Sclavis dreht sein Mundstück Richtung Mikrofon und klappert nur mit den Tasten ein perkussives Spiel, das nach einer Kalimba klingt, Han Bennink traktiert Schlagzeug und Cajon bis seine Instrumente versuchen zu fliehen.
Das Jazz-Publikum strömt nach Münster, auch wenn es kaum einen Namen im Line-Up kennt. Die Menschen in den wie immer ausverkauften Rängen sind neugierig, wollen Entdeckungen machen. Und die gibt es zuhauf: Das Trio um Ariel Bart aus Israel ist im Altersdurchschnitt 24 und spielt so souverän und schön, dass es fast nicht zu glauben ist: Die Bandleaderin hat eine chromatische Mundharmonika mit einem angenehmen Hall-Effekt, ihre Mitstreiter*innen begleiten an Klavier und Cello (Talia Erdal) – und vor allem der an Keith Jarrett oder Esbjörn Svensson erinnernde Ton des russischen Pianisten Arseny Rykov begeistert ungemein und ist von lyrischer Schönheit.
Was kann da noch kommen? Berserker aus Bayern: Das Trio um den Trompeter Mario Rom spielt Hochgeschwindigkeits-Jazz, der aber keine Sekunde nervt, sondern mit irre exakten Breakbeats des Schlagzeugers Herber Pirker, wie es sie sonst nur in der Londoner Szene zu hören gibt, und glasklaren Grundierungen des Bassisten Lukas Kranzelbinder beeindruckt. Gut, dass das Jazzfestival Münster wieder da ist.
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