So riecht also das Weltall: leicht verbrannt, unangenehm herb und sehr intensiv. Wer dort siedeln möchte, sollte lieber vorher also proberiechen. Das geht sogar in NRW. Tief im Kölner Westen, in einem unscheinbaren Fabrikgebäude in einer engen Seitenstraße, produziert Robert Müller-Grünow mit seiner Firma Scentcommunication Düfte für Firmen, aber auch für Kulturprojekte. Gerade haben sie für eine Ausstellung der NASA in Washington den Geruch der Venus und des Weltalls nachgebaut. »Das hat natürlich niemand gerochen«, stellt Müller-Grünow fest, »Astronauten berichten immer von sehr metallischen Gerüchen, aber die riechen zur Hälfte ihr Material und ihre Umgebung im Raumschiff«. Anhand von Daten, die mit einem Gaschromatographen ausgewertet werden konnten, wurde der Geruch des Weltalls dann also nachempfunden. Nun steht er in einem kleinen Flacon vor Robert Müller-Grünow auf dem Tisch, während er nur kleine Teile dessen berichtet, was er alles bereits im Kulturkontext umgesetzt hat: Für eine Ausstellung von Pierre Huyghe im Centre Pompidou hat seine Firma einen Krankenhausduft entwickelt. Und auch die Erd- und Waldbodengerüche, die in Huyghe-Schauen so oft zu riechen sind, kommen aus seinem Kölner Keller. Für Tony Ourslers Arbeit »Imponderable« – ein »5D«-Kinoerlebnis – hat seine Firma Düfte kreiert, während sich Jeppe Hein den Duft der »totalen Entspannung« wünschte – zwischen Wald und Meer wie in Dänemark. »Stilhed« heißt Heins Kreation also nun, dänisch für »Stille«, »ein ganz ruhiger Duft«, wie es Robert Müller-Grünow beschreibt.
Düfte aus dem Duftsystem von Sentcommunication werden aber auch in der darstellenden Kunst eingesetzt, etwa in der Königlichen Oper in Kopenhagen, während in Madrid Szenen von »Romeo und Julia« mit Hilfe der Kölner Firma beduftet worden sind. »Das ist interessant, weil das ganze Publikum es dann gleichzeitig riechen, der Geruch aber auch schnell wieder weg sein muss.«
Ein ganz besonderes Projekt aber ist keine Beduftung von Räumen, sondern ein Parfüm: Ein Künstlerinnen-Parfüm, um genau zu sein: Rosemarie Trockel hat den Duft gestaltet, der Schlicht »RT« heißt. »Rosemarie ist einfach eine so spannende Künstlerin, die auf Dinge blickt, auf die sonst kein Mensch schaut. Und so habe ich mir das beim Duft auch vorgestellt«, erzählt Robert Müller-Grünow über das Projekt, das er gemeinsam mit einem befreundeten Designer 2019 anstieß. »Sie hatte lange Zeit ihren Geruchssinn verloren durch Materialien, mit denen sie gearbeitet hat. Jetzt ist sie eine gute und präzise Riecherin und es ist so interessant, wie sie Rohstoffe beschreibt, die man ihr vorlegt.« Deshalb habe er der Künstlerin absolute Freiheit gegeben – sie konnte aus allen Rohstoffen unabhängig vom Preis wählen. Zur Seite gestellt wurde ihr der Parfümeur Geza Schön mit seiner Kenntnis über Riechstoffe und ihre Reaktion – und seinem Labor. »Der Prozess ist intensiv«, erklärt Robert Müller-Grünow, »mit Rosemarie haben wir fast ein Jahr gearbeitet. Es sind viele Sessions, immer wieder Rohstoffe riechen und neue Mischungen«.
Am Anfang habe es keine Vorstellung davon gegeben, wie das Rosemarie-Trockel-Parfum riechen sollte, »aber das ergab sich relativ schnell. Je dunkler, je mystischer die Rohstoffe wurden, desto interessanter wurde es für sie«. Entstanden so so ein Parfüm mit einem sich stark verändernden Charakter: Zu Beginn riecht es nach hellen und frischen Teenoten, wird dann sehr intensiv, erdiger und dunkler.
»Langsam geht es in den Wald und am Ende haben Sie nur noch Tiernoten – wie so ein Bär, der hinter dem Baum steht. Dann wird es ein bisschen gruselig.«
Robert Müller-Grünow über das Parfüm von Rosemarie Trockel
Erschienen ist das Parfüm in einer limitierten Auflage von 500 Stück, wer es aber einmal gekauft hat, kann es verbilligt nachbestellen. Es soll also durchaus benutzt werden, als »Verbrauchskunst«, wie Robert Müller-Grünow das Parfüm bezeichnet. Aber: Es steht auch im Museum – so hat das MMK in Frankfurt es angekauft, wo ab 10. Dezember eine große Rosemarie-Trockel-Schau zu sehen ist. 2023 soll Corona-verzögert der zweite Duft der Künstler*innenserie erscheinen, von Pierre Huyghe, der auch ein Freund von Robert Müller-Grünow ist: »Mit ihm habe ich schon gearbeitet und ich weiß, wie er an Düfte rangeht. Es ist ja nur ein Spaßprojekt, an dem niemand etwas verdient. Also werde ich mir Künstler und Künstlerinnen suchen, von denen ich denke, dass sie einen tollen Ansatz haben und mit denen es Spaß macht, zu arbeiten.«
Kunst ist die Leidenschaft des Marketing-Experten, wirtschaftlich abhängig sein wollte er davon nie. Nach dem BWL-Studium war er vor 25 Jahren eher zufällig zum noch jungen Bereich des Duftmarketings gekommen. Normalerweise entwickelt Scentcommunication also Düfte für Firmen. Auf Basis der Zielgruppe und der erwünschten Wahrnehmung werden die Markenwerte und Attribute in Duftmoleküle übersetzt. Samsung zum Beispiel sollte männlich und blau-weiß sein. »Blau-weiß zu übersetzen in Duft ist relativ einfach, das geht mit Wasser- und Luftnoten und funktioniert weltweit«, erklärt Robert Müller-Grünow. Etwa 20 bis 30 Düfte würden von ihnen pro Jahr so komplett neu entwickelt, zusätzlich gäbe es Weiterentwicklungen. Exklusive Markendüfte wie bereits fertig konfigurierte Gerüche stellen seine zwölf Mitarbeiter*innen im Erdgeschoss her. »Hier riecht es jeden Tag nach etwas anderem, je nachdem, was unten produziert wird«, erklärt Müller-Grünow den frischen floralen Duft, der an diesem Tag durch die Büroräume wabert. Erst dieses Jahr ist die Firma in das Gebäude am Stadtrand gezogen, am alten Standort konnten sie nicht expandieren und für eine Innenstadtlage ist das Business dann doch zu geruchsintensiv. Neben den Gerüchen werden auch Geräte entwickelt, die Düfte in Räumen wie Hallen verteilen. Sie lagern im Keller des Firmengebäudes, zusammen mit großen Fässern, aber auch mit kleinsten Fläschchen von Aromen und von ihnen kreierten Düften.
Dort schnuppert Robert Müller-Grünow begeistert an einer Flasche nach der anderen: täuschend echte Madeleines macht er aus, dann intensive Kaffeebohnen, den unangenehmen Geruch eines Energy-Drinks, nur den super Baguette-Duft, den findet er gerade nicht. Den Telekom-Duft aber zieht er zielsicher aus dem Regal. Er enthält eine dominante Note von rosa Pfefferbeeren, in der sich die Firmenfarbe Magenta wiederfindet, und soll außerdem Nahbarkeit ausdrücken, was unter anderem mit einem Molekül erreicht wird, das nach Zedernholz riecht: »Ein toller Duft«, freut sich Robert Müller-Grünow, den müsse er jeden Tag riechen. »Der macht abhängig.«
Die Künstler-Serie von Sencommunication findet sich hier:
https://artistscentedition.com
https://scentcommunication.com
Robert Müller-Grünow hat auch ein Buch über Düfte geschrieben: »Die geheime Macht der Düfte – Warum wir unserem Geruchssinn mehr vertrauen sollten« ist bei Edel Books erschienen (304 Seiten, 17,95 Euro).