Es knallt ganz schön. Und oft. Fatih Akin ist nicht zimperlich, so wenig wie sein Held Xatar (übersetzt: Kraft). Es geht aufs Ganze und manchmal auch daneben.
Ein (nicht nur wegen seiner 140 Minuten) Ungetüm von Film, basierend auf dem autobiografischen Roman »Alles oder nix« von Giwar Hajabi, der sich Xatar nennt. »Rheingold« ist Coming-of-Age-Erzählung, Aufsteiger-Story, Musikfilm, Outcast- und Flüchtlingsdrama, Krimi und nimmt Bezug auf die deutsche Sagenwelt. Die episodisch angelegte Dramaturgie in ihrem Stilmix und mit ihren spaßbezogenen cineastischen Rekursen wechselt Genres, Schauplätze, Milieus, Kieze: von der leidgeborenen Kriegskindheit in die Fremde und über den Knast zur Karriere – gangstern, fighten, rappen.
Die Frage, was Wagners wallend wogend wiegendes »Rheingold«, der Vorabend zum »Ring des Nibelungen« mit dem Leben und der Musik von Xatar zu tun hat – dieser tief deutsche Mythos, der spätestens mit Patrice Chéreaus Bayreuther Jahrhundert-Regie auch Abbild der bürgerlichen Gründerzeit-Gesellschaft und ihrer Krisen ist – bleibt im Unklaren. »Aus unpassenden Tönen werden die schönsten Melodien« hören wir einmal im Film. Das würde als harmonische Verbindung nicht reichen. Bonn ist nicht Walhall, auch wenn es das zu Zeiten Adenauers, Schmidts und Kohls beinahe gewesen sein mag.
Aber im Ernst. Fatih Akin geht es darum, zu zeigen, dass auf dem Grunde des Rheins nicht mehr nur der urdeutsche Glanz schimmert, sondern gewissermaßen Legierungen (Immigration ins christlich-jüdische Abendland und Aufmischen der Mehrheitsgesellschaft) lagern. Was daraus entsteht, bildet nun selbst neues Mythen-Material.
Deutsch-türkischer Tarantino
Die Geschichte beginnt im Mittleren Osten: Die iranisch-kurdische Familie Xatars wird in Saddam Husseins Irak verfolgt, flieht und findet über Paris nach Bonn. Der Sohn (Ilyes Raoul), dessen Vater Komponist ist, kommt mit Musik in Berührung, kann allerdings mit dem klassischen Klavier weniger anfangen, sondern bevorzugt Hip-Hop und reibt sich an seiner bürgerlichen Umwelt mit Schule und Klassenkameraden, die den Fremdling, dessen Mutter als Putzfrau schuftet, als »Asi-Kanake« anmachen. Fatih Akin ist hier so beherzt provokativ und empathisch und hat ebenso viel Vergnügen, als deutsch-türkischer Martin Scorsese und Tarantino zuzulangen und die idyllische Welt »Gegen die Wand« zu fahren.
Es folgen für Xatar (Männerschweiß, Muskeln, Glatze, Schnäuzer: Emilio Sakraya) Hehlerei, Drogen, Umzug zum Studium nach Amsterdam und Wegtauchen ins Milieu, kriminelle Aktionen. Zusammen mit Komplizen inszeniert er einen dreisten Rififi-Beutezug, der Schmuck und millionenschweres Zahngold und ihm acht Jahre Haft im Schwabenland einbringt, wo er sein Album 451 heimlich unter der Bettdecke aufnimmt. Nach einer frühzeitigen Entlassung wird er Chef von »Alles oder Nix Records«, ist als Rapper erfolgreich, etabliert sich. »Das Leben schreibst du selbst«, gibt jemand Xatar mit auf den Weg. Er hält sich daran. Geschafft! Am Ende steht die Villa mit Rheinblick. Der geraubte Goldschatz ist versenkt, der Schatz des Lebens gehoben. Gelungene Integration! Richard Wagner wurde schließlich vom Revolutionär und Barrikadenstürmer auch zum königlich alimentierten, vornehm ausgestatteten Wohlstandsbürger.
»Rheingold«, Regie: Fatih Akin, D 2022, 140 Min., Start: 27. Oktober