Da zieht die Tochter also zum Ex-Freund ihrer Mutter. Allerdings nicht aus Liebe. Kim ist von der Schule geflogen und muss neu anfangen. Dann eben in diesem Dorf, in dem René zusammen mit seiner übellaunigen Tante lebt. Und nun auch noch mit diesem Teenager.
Kim zieht also gleich zu Anfang von Sarah Jägers neuem Roman in eine eigenartige Dreier-WG ins Nirgendwo. Und das ist gut so. Denn das Mädchen hat ein »Aggressionsproblem«, wie es ihr ein Mitarbeiter der schulpsychologischen Beratungsstelle attestiert – und ihr reichlich desinteressiert die Telefonnummer einer Beratungsstelle gibt. Kim ahnt, dass dieser Neustart im Nirgendwo so etwas wie ihre letzte Chance ist. Die von Sarah Jäger herrlich auf die Spitze getriebene Spießigkeit des Settings kommt da gerade recht: »Am Dorfeingang ein verwittertes Schild. Schönstes Dorf ist noch zu entziffern«, beschreibt Kim lakonisch diesen Durchschnittsort mit seinen vermeintlichen 3000 Durchschnittsmenschen. Denn wie in einer Vorabendserie findet sie schnell alles so vor, wie es das Klischee vorschreibt: Es gibt eine lange, menschenleeren Straße, einige Lästereien, spießige Nachbarn, eine einsame Tankstelle und nur selten einen Bus. Aber auch den herzerwärmenden Janne, der eine Friseurausbildung macht, weil seine Eltern nichts anderes für ihn vorgesehen haben. Oder Alex(andra Sofie), die ein bisschen zu klug und zu schön für die Eintönigkeit dieses Provinzörtchens ist.
Lebenskluge Dialoge
Man ahnt es schon: Auch Kim passt natürlich nicht hierher. Nicht nur, weil sie aus der Stadt kommt oder gern auffällig quietschige Kleidung trägt. Sondern weil Sarah Jäger ein Mädchen beschreibt, das vor Wut schon mal die Kaffeemaschinen seiner Lehrer aus dem Fenster schmeißt oder die eigene Mutter misshandelt, aber sich auch verzweifelt »Diesmal vermasselst du das nicht« auf den Arm schreibt. So als würde sie der Schriftzug aus Filzstiften gegen die eigenen inneren Dämone beschützen.
Sarah Jäger erzählt in knappen, lebensklugen Sätzen und Dialogen eine wunderbare Freundschaftsgeschichte, die so ganz nebenbei noch eine wunderbare Dorfgeschichte geworden ist. Und gleich der dritte Roman in kurzer Zeit – für »Nach vorn, nach Süden« (bei Rowohlt) hatte sie unter anderem den »Luchs des Monats« der Wochenzeitung Die Zeit bekommen. Vor einem Jahr wurde dann ihr zweiter Roman »Die Nacht so groß wie wir« gleich für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Am 29. Oktober kommt er nun in einer Inszenierung mit Jugendlichen am Düsseldorfer Schauspielhaus auf die Bühne. Nicht unwahrscheinlich, dass auch dem »Schnabeltier deluxe« schon bald ganz ähnliches widerfährt.
Sarah Jäger: Schnabeltier deluxe, 204 Seiten, Rotfuchs Verlag, 20 Euro
Szenische Lesung mit Sarah Jäger am 15. Oktober im Dhaus, dhaus.de
»Die Nacht so groß wie wir«, 26. Oktober (Voraufführung), 29. Oktober (Premiere)
Kleines Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses, dhaus.de