Wenn wir ins Grübeln geraten, setzt das Leben seine Marken und wirft auf der Stirn Falten, die »Triangle of Sadness« genannt werden. Für keinen von uns schön – die Spur des Alters und runzelnden Denkens in dieser exponierten Gesichtszone, für ein Model jedoch das Kainsmal.
Ruben Östlunds in Cannes mit der Goldenen Palme prämierter Film heißt »Triangle of Sadness«. Er könnte auch »Höhere Gewalt« heißen, wie der von Östlund aus dem Jahr 2014. Und auch »The Square«, seine danach gedrehte artifizielle Drama-Satire, hätte diese Überschrift vertragen. Etwas gerät aus den Fugen: Gewissheiten und das Gefühl der Überlegenheit unseres spätdemokratischen Lebensmodells. Östlunds Filme sind scharfsinnig intellektuelle Abenteuer, soziale Konstruktionen und haben eine moralisch zweideutige Sicht auf das westlich versnobte savoir vivre, das gerade da, wo es sein Gewissen entdeckt, am allerwenigsten zu sagen hat und taugt.
Östlund braucht für seine Versuchsanordnungen (wie der Surrealist Luis Bunuel, dem der Schwede vielleicht gar nicht so fern steht) eine geschlossene Gesellschaft, ein separiertes Milieu: das feine Wintersporthotel mit einer jungen Familie in »Höhere Gewalt«, die Kunstszene von »The Square«, und nun ein Traumschiff und seine verwöhnten Passagiere. Keine Titanic, auch wenn es baden geht. Eher eine kollektive Robinson Crusoe-Fantasie, denn die Gäste, nachdem sie sich ausgiebig ausgekotzt haben, und die Crew retten sich auf eine Insel.
Die Reichen und die Schönen. Ob vulgärer russischer Düngemittel-Oligarch (Zlatko Buric) mit kapriziöser, höchst dominant die Besatzung zu ihrem Glück zwingen wollender Gattin Vera (Sunny Melles), ob skandinavischer IT-Krösus (Henrik Dorsin), der blonde Wonderboy Carl (Harris Dickinson), durch dessen zahnweißes Lächeln oder aber Schnute-Ziehen wir im Prolog den Unterschied zwischen »happy« (H&M) und »grumpy« Labels (Balenciaga) lernen, nebst Partnerin und Schönheitskonkurrentin Yaya (Charlbi Dean), ob die durch Schlaganfall reduzierte Deutsche Therese (Iris Berben) oder das betagte britische Ehepaar, das seine Pfunde auf dem Waffenmarkt gemacht hat: Sie alle werden leicht Opfer des Spotts und der Verhöhnung. Und das Publikum ist erwartungsgemäß dankbar für die Demontage.
Überdruss am Überfluss
Östlund ist immer auch Erfüllungsgehilfe des Vorurteils. Wenn ein Helikopter Nutella einfliegt, weil ein Passagier sich die süße Frühstückspaste wünscht, ist der Witz eher bei Helmut Dietl zu verorten. Aber Östlund entlarvt sich selbst und seine durchaus obskure Methode und entschärft damit die Instrumente der Kritik, wenn er Slogans wie »All are equal« und »Cynicism masquerading as Optimism« projiziert. Er weiß, dass er eine Show inszeniert, die den Überdruss am Überfluss präsentiert und in ihren Stilmitteln hypertroph auftrumpft und damit absahnt. So dass auch ein Schlagabtausch und Zitate-Duell zwischen dem russischen Kapitalisten und dem idealistisch sozialistischen Captain Smith des Luxusliners (Woody Harrelson) voller Raffinement die Grenzen zum Verschwimmen bringt und die Extreme sich berühren lässt.
Das schöne Paar Yaya und Carl muss anfangs die Wogen seiner Beziehung glätten, denn das Hochglanz-Mannsbild ist schon vor der Kreuzfahrt der Untergeher, erleidet Schiffbruch und hadert mit seiner heutzutage mächtig unterspülten Geschlechterrolle. Danach geht es an Bord, wo – vergleichbar der Szene aus »The Square« mit dem wölfischen Urhorde-Mann beim feinen Bankett – das Captain’s Dinner während eines Sturms die Delikatesse seiner Rituale und jede Contenance einbüßt und der schlechte Geschmack auf der Zunge und im Magen provokativ ausbricht.
Auf die Katastrophe zu Schiff während der Lebensfahrt – ein Topos von Sebastian Brants »Narrenschiff« bis Rimbauds »Bateau Ivre« und Fellinis »Schiff der Träume« – folgt die Umkehr der Verhältnisse. Die Überlebenden in der Einsamkeit der Wildnis können unter krass anderen Bedingungen die hierarchische Ordnung nicht beibehalten. The Survival of the fittest wird hier anschaulich, auch in sexueller Hinsicht. Diejenigen wie die philippinische Reinemachfrau Abigail, die machtlos und am unteren Ende der Skala (gewesen) sind, sozial benachteiligt und abhängig, benutzen unter gewendeten Umständen genau die Mechanismen, unter denen sie zuvor in ihrem unterprivilegierten Dasein zu leiden hatten.
Ob Ruben Östlund ein Menschenfreund ist, tut nichts zu Sache. An seiner Perspektive auf den homo sapiens ist kein Augenblick zu zweifeln (wohl jedoch an der Zuschreibung ‚sapiens’). Seine Solidaritätsadresse an die Entrechteten und Enterbten aber sieht ganz so aus, wie ein Privilegierter sie eben ausformuliert. »Triangle of Sadness« ist selbst der Film, den seine erzählte Geschichte zum Untergang verurteilt.
»Triangle of Sadness«, Regie: Ruben Östlund, Schweden 2022, 145 Min., Start: 13. Oktober