Reinhard Mucha ist bekennender Fan von Fortuna Düsseldorf. Während der traditionsreiche Fußballclub in die 2. Bundesliga abgestiegen ist, dürfte die aktuelle, enorm aufwendige Mucha-Doppelausstellung in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen den Düsseldorfer Künstler (Jahrgang 1950) endgültig in die Topliga des internationalen Kunstbetriebs hieven. Wobei er dort, strenggenommen, schon einmal mitspielte: 1992 und 1997 nahm Mucha an der documenta in Kassel teil. Schon zuvor, 1990, lud man den Konzeptkünstler gemeinsam mit Bernd und Hilla Becher ein, den Deutschen Pavillon der Biennale von Venedig zu bespielen.
Seine Biennale-Installation »Das Deutschlandgerät« wurde 2002 vom NRW-Landesmuseum angekauft und zählt jetzt zu den mächtigsten Werkensembles einer Schau, der es an weit ausgreifenden Arbeiten wahrlich nicht mangelt. Nicht kleckern, sondern klotzen, das war von Beginn an die unausgesprochene Devise des Künstlers: Gebrauchsgegenstände, Schilder, Formulare, technische Geräte, Museumsmobiliar, Fotografien, Zeugnisse seiner Kindheit – diese und andere Zutaten mehr verwendet Mucha als Bausteine für seine babylonischen Werke. In diesen verschachtelten Kombinationen gehen Zeit- und Industriegeschichte, innerkünstlerische Bezüge sowie die eigene Biografie eine komplexe Liaison ein.
Susanne Gaensheimer, die Direktorin der Kunstsammlung NRW, sieht in Reinhard Mucha eine Schlüsselfigur der Kunst der letzten 50 Jahre. Der Künstler habe »ganz maßgeblich zu unserer heutigen Auffassung von Bildhauerei, Installation und Konzeptkunst beigetragen«, so die Einschätzung der Kunsthistorikerin. Nur aus dieser superlativischen Perspektive ist nachvollziehbar, dass Gaensheimer dem Künstler einen derart kolossalen Auftritt beschert: Rund 70 Arbeiten, durchweg mächtige Kaliber, verteilen sich auf die Grabbe Halle im K20-Stammhaus am Grabbeplatz sowie auf zwölf Räume im K21, dem früheren Ständehaus.
Die oft mäandernde, in unterschiedlichstem Gewand auftretende Produktion eines Gegenwartskünstlers in Kategorien einzuteilen, ist immer heikel – aber unverzichtbar, um überhaupt einen Überblick zu gewinnen. So auch bei Reinhard Mucha. Gleichwohl dürfte die Charakterisierung seiner Arbeiten als Kontextkunst nicht in die Irre führen. In den 1980er- und 1990er-Jahren war diese Art von Laborkunst, die ihre Bedingungen und ihre Präsentation im musealen Ambiente unter die Lupe nahm, »State of the Art«. Schicke Begriffe wie »Betriebssystem Kunst« machten die Runde. Bis heute ziehen sich Ausstellungen über das Ausstellen als roter Faden durch die zeitgenössische Kunst.
Auch Reinhard Muchas Installationen spielen mit solchen Bezügen – so etwa die mehrteilige Bodenskulptur »Gelsenkirchener Barock/Altena« oder »Karstadt Sport/Bullay« im K21. Hier hat der Künstler Fundstücke in Vitrinen platziert. Doch wird deren dienende Funktion dadurch aufgehoben, dass die Beine der Vitrine gar nicht auf dem Boden aufsetzen. Vielmehr trägt ein Podest sowohl die Trouvaille im Inneren als auch das schützende Gehäuse. Auf diese Weise wird es selbst zum Kunstobjekt geadelt. Ist das nun eine (schwebende) Vitrine oder ist es Kunst? Eine müßige Frage, denn eine sinnvolle Antwort lässt sich schwerlich finden.
Gegenstände des Alltags ad absurdum führen, ist eine Strategie, die Reinhard Mucha durch die Bank verfolgt. Besonders eindrucksvoll in der Rieseninstallation »Das Figur-Grund Problem in der Architektur des Barock (für dich allein bleibt nur das Grab)«, die in der Grabbe Halle die meiste Aufmerksamkeit auf sich zieht. Eine Art Riesenrad, aus Leitern konstruiert, daran vertaut Bürostühle, die als Gondeln figurieren, im Fall ihrer Verwendung aber Schleudersitze wären. Daneben die »Todeswand« – ein Karussell aus dunklen Bürotischen, das auf weißen Holzsockeln errichtet ist. Die Pressemitteilung spricht von »spektakulären Schaustücken, in denen Büro- und Museumsmöbel zu Skulpturen erstarrte Jahrmarktattraktionen darstellen«. Eine Assoziation, die angesichts der bedrohlich wirkenden Arbeit ins Leere läuft – die Atmosphäre von Rummelplatz und Vergnügungspark ist wirklich das Letzte, was sich mit Muchas ernsthafter, um nicht zu sagen spröder Kunst in Verbindung bringen ließe.
Künstler-Buchhalter durch und durch
Als Leitmotiv weitaus passender ist das Archiv, denn Reinhard Mucha ist ein Künstler-Buchhalter durch und durch. Einer, der alles aufbewahrt, der Vergangenes in Gegenwart zu überführen versucht, indem er die Dinge von gestern in eine Struktur von heute einsortiert. In der Grabbe Halle bezeugt der »Frankfurter Block« diese Obsession besonders eindrücklich. Das 13-teilige Ensemble, das im Titel auf den »Block Beuys« im Hessischen Landesmuseum in Darmstadt anspielt, gleicht einem Andachtsraum, in dem Stationen seiner Karriere ausgebreitet sind. Da gibt es eine Arbeit, die mit der Beziehung zu seinem Akademie-Lehrer Klaus Rinke zu tun hat. Daneben »Kopf im Sand« – ein Beitrag für eine seiner frühesten Ausstellungen, die 1981 in der Kunsthalle Bielefeld zu sehen war. Und an den Wänden hängt »Schnee von gestern – Auszüge aus dem großen Kalender III«: Dokumente und Fotos aus der Zeit vor dem Kunststudium.
Dass Künstler das eigene Leben und ihren Werdegang zum Gegenstand der Arbeit machen, ist an der Tagesordnung. Eine derart ausufernde Selbstbespiegelung wie in Reinhard Muchas Installationen dürfte jedoch Seltenheitswert haben. Ähnlich autobiografisch grundiert sind seine »Kopfdiktate«, die im Ständehaus zu sehen und nachzulesen sind. Einmal mehr hat sich der Künstler auf die Suche nach der verlorenen Zeit gemacht. Hier markiert den Ausgangspunkt seine erste Galerie-Ausstellung im Jahre 1980. Damals präsentierte der Dreißigjährige in chronologischer Folge 30 Fotos in bemalten Rahmen – eines für jedes Lebensjahr.
Zehn Jahre später machte er sich selbst ein weiteres Geburtstagsgeschenk, indem er die gerahmten Fotos erneut rahmte und sie in Schaukästen hängte. Daneben finden sich Seiten aus einem Heft aus der Grundschulzeit, Aufsätze oder auch Strafarbeiten, die der kleine Reinhard schreiben musste. Gestapelte Stühle, der Roller und seine ersten Kinderschuhe ergänzen die eigentlich nostalgisch angehauchte Installation. Nostalgie aber will nicht so recht aufkommen – zu klinisch kühl ist dieser Rückblick. Bei Mucha wird die Vergangenheit nicht verklärt, sondern seziert.
»Der Mucha – Ein Anfangsverdacht«
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf
bis 22. Januar 2023