Ob Kinderwagen, Kerzenhalter oder Kleiderständer, ob Kleinwagen oder nackte Frau – alles wurde eingewickelt und verschnürt. So tasteten sich Christo und Jeanne-Claude um 1960 vor zu ihren spektakulären Megaprojekten: Noch heute reden alle von der silbrig schimmernden Schönheit des verhüllten Reichstags. Und vor einem Jahr erst machte der posthum verhängte Arc de Triomphe Furore. Allerdings scheint der Jubel nicht mehr ungebrochen. Ist die Verpackung im großen Stil noch zeitgemäß, noch verantwortbar? Gedanken, die nun auch aufkommen bei der Ausstellung im Düsseldorfer Kunstpalast: »Christo und Jeanne-Claude. Paris. New York. Grenzenlos«.
Zwei Jungs stehen verwundert vor dem Galerie-Fenster. Soll das Kunst sein? So könnten sie fragen. Denn so etwas haben die beiden wahrscheinlich noch nie gesehen. Ordentlich verpackt zeigen sich Teller und Kanne in der Auslage. Auch Kaffeemühle und Schaumkelle sind verhüllt, aber noch gut zu erkennen. Der Schnappschuss entstand 1961 – nicht in Paris und auch nicht in New York, sondern in der Kölner Altstadt. Am Buttermarkt bei Haro Lauhus präsentierte Christo damals seine erste erstaunliche Einzelausstellung. Zum verpackten Hausrat im Ausstellungsraum kamen damals für sein Werk ebenso wegweisende Skulpturen aus alten Bier- und Ölfässern outdoor, am nahen Rheinauhafen.
Der Künstler war seinerzeit aus Paris nach Köln gereist – allein, um das Bahnticket für Jeanne-Claude zu sparen. Beim zweiten wichtigen Auftritt im Rheinland, in Düsseldorf bei Alfred Schmela, war seine Partnerin aber dann auch mit dabei. Zwar zahlte der Galerist diesmal die Fahrt wohl für beide, nicht aber für die Kunst. Kurzerhand entschloss sich das Paar darum, alles vor Ort zu fertigen. Günther Uecker stellte dafür sein ungeheiztes Atelier zur Verfügung. Draußen im leicht verschneiten Hof verpackte das Künstlerduo einen nagelneuen VW-Käfer, der allerdings wenig später schon wieder ausgewickelt werden musste, weil sein Besitzer wohl Bedenken bekommen und auf die unversehrte Rückgabe bestanden hatte.
Die VW-Verhüllung währte kurz, war aber besonders wichtig für Christo, deshalb recycelte er die Idee vor bald zehn Jahren und kaufte dafür eigens einen Käfer, Baujahr 1963. In gelbes Tuch gewickelt und mit dickem Seil umwunden kann man den »Wrapped Beetle« jetzt im Museum Kunstpalast sehen und sicher sein – diesmal bleibt alles verpackt. Die Schau in Düsseldorf überblickt das Lebenswerk des verstorbenen Künstlerpaares und widmet sich dabei eingehend der bisher weniger beachteten Frühzeit, die Christo (1935-2020) und Jeanne-Claude (1935-2009) vor allem geschäftlich öfter an den Rhein führte, wo sie erste Erfolge feierten.
So ließ schon das Debüt bei Schmela die Künstlerkasse klingeln – fast alle Stücke wurden verkauft und finden sich bis heute etwa im Museum Ludwig, im Kunstmuseum Bochum oder im Kurhaus Kleve. Auch die bekanntermaßen kauffreudige rheinische Sammlerschaft fand nachhaltig Gefallen an den ungewöhnlichen Arbeiten des Paares. So kann die aktuelle Ausstellung jetzt im Kunstpalast zu großen Teilen aus der seit über 40 Jahren gewachsenen Sammlung von Ingrid und Thomas Jochheim aus Recklinghausen schöpfen.
Was die Inspiration angeht, war für den Karrierestart von Christo und Jeanne Claude allerdings ein anderes Zentrum als das Rheinland entscheidend – Paris. Nach seiner Flucht aus Bulgarien war Christo 1958 dorthin gekommen und hatte allerhand Anregungen gefunden. Bei älteren Künstler*innen wie Jean Dubuffet oder Lucio Fontana und ebenso bei etwas jüngeren Kollegen, die damals als Nouveaux Réalistes die Runde machten – Yves Klein etwa , Arman, César oder Niki de Saint Phalle.
Erstmals umreißt die Schau dieses vielfältige Bezugsfeld. Und kann zeigen, wie Christo seiner Kunst den Weg in den Raum bahnte – zunächst über informelle Gemälde. Etwas später dann klebte der Künstler Farbdosen auf die Leinwand und verlieh seinen Bildern so eine plastische Ebene – ähnlich wie Fontana mit seinen Schnitten in die Leinwand oder wie Yves Klein mit seinen Schwammreliefs.
Vielleicht, so vermutet Kunstpalast-Kurator Kai Heymer, habe es auch den Erfolg dieser Künstler befördert, dass sie so etwas wie ein Markenzeichen für sich entwickeln konnten. Yves Klein war am leuchtenden Blau zu erkennen. César kam an als Schrottpressenkünstler, der Altmetall zu handlichen Quadern presste. Arman war spezialisiert auf Akkumulationen, in denen er Alltagsgegenstände gleicher Funktion anhäufte – die Schau zeigt etwa ein Relief aus reihenweise halbierten Emailkannen. Im gleichen Zuge machte Christo sich als »Verpackungskünstler« einen Namen, der nützlich gewesen sein mochte, aber dem Künstler bald lästig wurde. Weil das eine grobe Vereinfachung sei, sagte Christo einst in einem Interview. Man könne sein Werk nicht auf diese eine Methode reduzieren.
Wie auch immer. Die Verpackung war sicher nicht alles, aber doch ganz wesentlich für das Werk von Christo und Jeanne-Claude. Das zeigt sich auch in der Düsseldorfer Ausstellung. Dank der Leihgaben aus dem Hause Jochheim kann sie viele der 24 verwirklichten und 46 nicht genehmigten, deshalb nie realisierten Großprojekte durch Fotos, Zeichnungen oder Collagen belegen. Davon produzierte Christo reichlich, denn die zeichnerischen und fotografischen Nebenprodukte dienten zur Finanzierung der kostspieligen Unternehmungen – eine frühe Form von Crowdfunding.
Das funktionierte 1985 etwa, als Christo und Jeanne-Claude sich am Pont Neuf in Paris zu schaffen machten und 1983, als sie elf kleine Inseln vor Miami mit rosa Textil umsäumten. Die Rechnung ging auf in New York, wo das Künstlerpaar den Central Park mit über 7000 safrangelben »Gates« bestückte. Ebenso 2016 am Lago d‘Iseo, als Christo und Jeanne-Claude das Kunstpublikum auf orangefarbenen Bahnen übers Wasser wandeln ließen. Und natürlich auch in Berlin, wo der Reichstag im Juni 1995 unter 100.000 Quadratmetern mit Aluminium bedampftem Polypropylengewebe verschwand. Die Kosten des Projekts werden auf 13 Millionen US-Dollar beziffert. Und die Zahl der Besucher auf fünf Millionen geschätzt.
Überall und immer wieder konnte man darüber staunen, wie die Werke von Christo und Jeanne-Claude das Alltägliche verwandeln. Wie sie Dinge, Bauten, Bäume, Denkmäler der Realität entrückt und jeder Funktion enthoben haben. Zauberei auf Zeit. Für die Künstler war das Freiheit pur: »Niemand kann diese Projekte kaufen, niemand sie besitzen, niemand kommerzialisieren, niemand kann Eintritt für ihre Besichtigung verlangen – nicht einmal uns gehören diese Werke«, so ihr Kommentar.
»Unser Werk handelt von Freiheit, und Freiheit ist der Feind allen Besitzanspruchs, und Besitz ist gleichbedeutend mit Dauer. Darum kann das Werk nicht dauern.«
Christo und Jeanne-Claude
Allen, denen schwindelig wird angesichts der Materialmassen, die für ein paar Tage oder wenige Wochen Spektakel produziert wurden, mag der Hinweis helfen, dass Christo sich schon sehr früh Gedanken um die Nachhaltigkeit seiner Kunst gemacht hat. Fast alles wurde recycelt. Führend hierbei war ein Unternehmen im westfälischen Gronau, wo auch die »Floating Piers« vom Iseo-See verarbeitet wurden – zu nützlichen Dingen wie Nadelfilz oder Reitplatzbelag. Trotzdem dürfte der ökologische Fußabdruck solcher Art von Kunst natürlich eher ungünstig ausfallen.
»Können wir es uns leisten, 25.000 Quadratmeter Stoff für die Umhüllung eines Denkmals zu verschwenden?«, diese Frage ging vor einem Jahr durch die Medien, als die Verpackung des Arc de Triomph in Paris anstand. Gestellt hatte sie der Architekt und Christo-Freund Carlo Ratti in der französischen Tageszeitung Le Monde. Und dort auch gleich eine Antwort formuliert, der man nur beipflichten kann: Nicht nur aus ökologischen, sondern vor allem auch aus intellektuellen Gründen, so Ratti, solle man auf die Verhüllung verzichten. »Während wir versuchen, aus einer Gesellschaft des übermäßigen Konsums im Westen herauszukommen, müssen wir die Ästhetik von Verpackungen mit hohem Abfallaufkommen aufgeben.«
Die Düsseldorfer Retrospektive, so kann man es sehen, erinnert an ein Stück Kunstgeschichte, das abgeschlossen ist. Und vielleicht weckt sie auch ein wenig Nostalgie im Rückblick auf vergangene Zeiten. Als das Publikum sorglos den Kunstevents hinterherflog. Als man die überwältigende Wirkung in der Sonne schimmernder und im Wind wogender Faltengebirge genießen konnte, ohne sofort an Recycling und CO2-Bilanzen zu denken.
Privat verhielt sich der Künstler in Sachen Nachhaltigkeit übrigens ganz vorbildlich, weiß Christo-Kenner Matthias Koddenberg. Das New Yorker Atelier haben Christo und Jeanne-Claude in 50 Jahre kein einziges Mal gestrichen. Und bis zuletzt saß der Künstler bei der Arbeit auf demselben Hocker und am selben Tisch, den er 1964 aus alten Brettern zusammengezimmert hatte.
Christo und Jeanne-Claude. Paris. New York. Grenzenlos
Kunstpalast, Düsseldorf
7. September 2022 bis 29. Januar 2023