Einschreibungen in den Körper reflektieren: Die aus der Karibik stammende Choreografin und Tänzerin Ligia Lewis bringt ihr Stück »A Plot / A Scandal« aus Berlin nach Bochum zur Ruhrtriennale.
Totenköpfe verschiedener Größe liegen auf einem Fellteppich. Der Holzboden im Studio 6 der Berliner Uferstudios ist mit einer kupferfarbenen Folie bezogen. Im Zusammenspiel mit der Beleuchtung verleiht das den Körpern der Tänzer*innen etwas Schimmerndes. Ligia Lewis hat soeben die Proben zu ihrem Stück »A Plot / A Scandal« beendet, dessen Vorpremiere die Ruhrtriennale präsentiert. Lewis besinnt sich darin auf ihre karibischen Wurzeln: »Ich beziehe mich explizit auf die Dominikanische Republik, von wo meine Familie stammt«. Inspiriert ist es von der Geschichte ihrer Urgroßmutter, die Ende des 18. Jahrhunderts in dem Dorf Dios Dirá geboren wurde. »Sie praktizierte Vodoo, was damals verboten war.«
Lewis schlägt auch einen Bogen in die Gegenwart. Viele der schwarzen Landarbeiter in Dios Dirá wurden jüngst von ausländischen Investoren vertrieben. Sie bewirtschaften das Land schon seit Jahrhunderten, haben aber keine Papiere. »Land betrachten sie nicht als Eigentum«, erklärt Lewis. Der »Skandal«, auf den sie im Titel anspielt, sei das kapitalistische Konzept von Eigentum. Das Thema wolle sie aber weder auf erzählerische noch auf exotisierende Weise verhandeln, stellt sie klar.
Ligia Lewis wurde in Santo Domingo geboren, aufgewachsen ist sie in Florida. Seit 2009 hat sie in Berlin ihre künstlerische Heimat. In den zurückliegenden Jahren legte sie eine erstaunliche Karriere hin und sorgte mit ihrer Trilogie »BLUE, RED, WHITE« hierzulande für Furore. Das verschaffte ihr auch eine größere Aufmerksamkeit in den Vereinigten Staaten. Los Angeles wurde mittlerweile ihre zweite homebase.
Auseinandersetzung mit Blackness
Nach Abschluss des Studiums von Tanz und Choreografie in den USA, ist Lewis nach Europa gegangen, tanzte mit Alain Platels Les Ballets C de la B, arbeitete für freie Choreograf*innen; daneben hat sie immer schon kleinere Projekte realisiert. 2014 sah sie dann die politische Dringlichkeit, etwas Eigenes zu kreieren. Sie wollte »etwas ausdrücken, was meiner Ansicht nach in der europäischen Tanzszene nicht artikuliert wurde«. Ihr gehe es »um eine kritische Reflexion über race und Verkörperung«.
In ihren Performances nimmt Ligia Lewis die gesellschaftlichen Einschreibungen in den Körper in den Blick: eine Auseinandersetzung mit Blackness, auch wenn das Thema nicht immer explizit verhandelt wird. Ausgehend zwar von politischen Fragen, seien sie »doch keine simplen politischen »Statements«. Das Trio »minor matter«, der zweite Teil ihrer Trilogie, sei stark von der Bewegung Black Lives Matter beeinflusst, sagt Lewis. Sie beschäftige sich damit, wie man innerhalb eines weiß-dominierten Kanons von Kunstwerken eine schwarze Position mitdenken kann. Die Farbe Rot symbolisiert darin Gefühle zwischen Liebe und Wut.
Bei all ihrer Abstraktion sind Lewis’ Arbeiten bildstark und emotional aufgeladen, tendieren oft ins Fantastische und Surrealistische und offenbaren hohes formales Bewusstsein. Es finden sich zahlreiche Referenzen an die europäische Tanz- und Theatergeschichte – aber Lewis transformiert das Material aus einer schwarzen Perspektive. Die Stücke fügen sich zum ausgeklügelten Zusammenspiel aus Bewegung, Text, Musik und Licht. Sie möchte »Bilder erschaffen, die einen Nachhall haben, die mehr ausdrücken, als Sprache es vermag«.
Sie habe dafür ihre spezielle Praxis entwickelt: »Ich gehe jeden Tag ins Studio und mache sehr seltsame Sachen«, erzählt sie lachend. Sie wolle die erlernten Bewegungsmuster destabilisieren, um so zu neuen Formen von Ausdruck zu gelangen. Mehrere ihrer Stücke, die auf Prinzipien des Spiels und der Unordnung basieren, wurden mit einem multiethnischen Ensemble erarbeitet. Mit ihrer Poetik der Dunkelheit und der Dissonanz erforscht sie auf komplexe Weise die kulturelle und ethnische Differenz. Tanz als Darstellung einer widerständigen Position.
»A Plot / A Scandal« von Ligia Lewis
Vor-Premiere: 12. August, Auff.: 13. und 14. August
Turbinenhalle an der Jahrhunderthalle Bochum