Ruhrtriennale: Der Bild-Erzähler Julian Rosefeldt zeigt in seiner neuen Filminstallation »Euphoria« über 2000 Jahre Kapitalismus und die Gier des Menschen auf der Zeche Zollverein in Essen. Ein Porträt.
Am Ende ein marodierender Tiger, der spricht und sogar singt. So viel lässt Julian Rosefeldt wissen über seine neue filmische Installation. Nein, der Künstler tanzt nicht ab. »Euphoria« geht nicht to the Musicals, auch wenn sich in einer der sechs alltäglichen Szenen, die freilich einen »surrealen Twist« bekommen, eine Gruppe von Geld-Verwahrern und -Verschleuderern formiert. Während die Band paukt und trompetet, steppen sie, erblühen in einer Choreografie, die Busby Berkeley für Hollywood einstudiert haben könnte, und tollen übermütig, als gäbe es niemals einen Schwarzen Freitag. Dieser Entertainment-Moment sei die »Klimax« der 90 Minuten, sagt Rosefeldt: Die Musik (sie stammt vom kanadischen Komponisten Samy Moussa sowie der Britin Cassie Kinoshi; weitere Mitwirkende sind der Brooklyn Youth Chorus und fünf renommierte Jazzschlagzeuger) setze dabei einen »ex machina-Effekt«.
Geredet werde viel, mehr als von ihm gewohnt, so der Künstler, der zum Zeitpunkt unseres Gesprächs Robert Schumanns »Faust-Szenen« an der Vlaamse Opera in Antwerpen probt. Die Figuren in »Euphoria« sind im Abseits zuhause: Obdachlose, Kinder vom sozialen Rand oder ein Taxifahrer im winterlichen New York als Hommage an Jim Jarmusch. Giancarlo Esposito, der 1991 als Yoyo neben Armin Mueller-Stahl im Ford Crown Victoria durch Brooklyn fuhr, ist bei Rosefeldt 2022 seinem Beruf am Steuer treu geblieben. Er und die anderen »Marginalisierten« referieren und diskutieren ökonomische Theorien in der ‚Revue’ zur menschlichen Gier entlang von Zeiten, Kulturen und Gesellschaften, entlang von Wirtschafts-Philosophie und (anti)kapitalistischer Kritik.
Drehort für das Kronleuchter-geschmückte Marmorfoyer der American National Bank war der Hauptbahnhof von Kiew. Vier »Euphoria«-Szenen entstanden in der ukrainischen Hauptstadt – bis kurz vor Beginn des Krieges, den man einen europäischen nennen sollte und der selbst beweist, wie sich politische Unrechts-Brutalität wirtschaftlicher Mittel bedient, um Macht auszuüben, zu erpressen und global Krisen zu erzeugen. Sofia, Potsdam-Babelsberg und New York waren weitere Stationen des Filmteams.
Unwissen als Ausgangspunkt
Die Beschäftigung mit »Euphoria« reiche zurück bis 2013, sagt Rosefeldt. Wie so oft sei »der Ausgangspunkt mein eigenes Unwissen« und ein »Sich-schlau-Machen« zu einem Thema, dessen Stoff collagiert, reduziert und kondensiert werde. Rosefeldt spricht lieber von Zuständen als von Situationen mit Blick auf seine filmischen Versuchsanordnungen, in denen Opulenz, aufklärerischer Impetus und analytisches Denken zusammenfinden. Durch die Reibung zwischen Text, Ort und Handlung entstehe ein »seltsames Zerknirsche« und das Klima von Absurdität. Unbewusstes, das auch die Surrealisten angezapft haben, schiebt sich aus unzugänglichen Regionen ans Helle vor.
Aus dem Feuer, das im Prolog der Filminstallation »Manifesto« (u.a. 2016 auch auf der Ruhrtriennale präsentiert) flackert, steigen Flammen kunstrevolutionären Geistes und breiten sich aus zum Flächenbrand. Die zwölf Episoden mit immer derselben Darstellerin Cate Blanchett in wechselnder Maske und Rolle füllen als Parallelprojektion auf Leinwänden die Ausstellungsräume. Man kann jede Miniatur für sich anschauen oder aber in Wendemanövern des Kopfes, gewissermaßen in der Totale und mit einem Augen-Schwenk mehrere short stories gleichzeitig als multiple Performance, experimentelles Sprechkonzert, Bewusstseinsstrom auf sich wirken lassen.
Reizung gehört zur Methode Rosefeldt, der auch den Speicher der Musik, Kunstgeschichte, Architektur und Filmgeschichte für seine Bilder und Erzählungen anzapft. Es ist eine andere weltweite Heimatkunde, die in München ihren Ausgang nahm. Der Architekturstudent schrieb seine Diplomarbeit über die »Stadt im Verborgenen«: Münchens im Stadtbild ausgelöschte dunkle Vergangenheit, so dass NSDAP-Täterorte zum Verschwinden gebracht worden waren. Der frühe Film »Detonation« (1996) lässt Industrieanlagen, Hochhäuser und ein steinernes Hakenkreuz-Monument in die Luft fliegen – stummer Kommentar zur Zeitgeschichte. Einen solchen wiederholt er in Kriegsszenen und Doku-Material vom Fluchtziel New York in »Meine Kunst kriegt hier zu fressen – Hommage à Max Beckmann« (2002) oder im flackernd aufgenommenen Foto eines »Unknown Soldier« (2007).
Rosefeldt stellt Zersetzungszustände in und mit seinen Dystopien, Rebellionen, poetischen Pamphleten und Klagegesängen her. Das suggestiv Assoziative ist seine rhetorische Figur, ob in eine kritisch-ironische Pointe gefasst, dramatisch aufrührerisch oder von stiller Kraft, eingedenk, dass wie auch immer politisch aufgeladene Manifeste im Kunstraum gut, vielleicht überhaupt am besten aufgehoben sind. Dabei ist ihm das »Dilemma« bewusst, dass die Kunstszene ein weitgehend geschossener Kreis sei, in dem »preaching for the saved« vorherrsche. In der Black Box des Kinos sieht er indes den demokratisch offeneren Raum gegenüber dem White Cube der Kunsthallen. Das mag auch wieder ein Problem sein, denn der leichter konsumierbare Film macht anfällig für Propaganda.
1965 in München geboren und in Berlin als Fotograf, Videokünstler und Filmemacher zuhause, ist der zivilisationsskeptische Rosefeldt Augenzeuge unserer Irrtümer, Sündenfälle und Hybris. Die Welt ist ein gefährdeter Fremdkörper und beschädigtes Wesen wie in Rosefeldts Wald-»Requiem«. Wir geraten bei ihm ins Dickicht der Städte oder in eine unberührte bzw. deformierte Natur, aber noch im Schäbigen, Bedrückenden, Bedrohlichen sind die Bildentwürfe magisch aufgeladen. In »Manifesto« zitiert Rosefeldt Passagen u.a. von Tristan Tzara, Bruno Taut, Malewitsch, Marinetti, Sol LeWitt und legt sie Blanchett in den Mund (oder lässt sie als voice over hören). Darin enthalten auch das eine und andere Glaubensbekenntnis Rosefeldts, jedenfalls lässt es sich so deuten. Etwa von André Breton: »Ich glaube an die künftige Auflösung der beiden äußerlich so widersprüchlichen Zustände – Traum und Wirklichkeit«.
Rosefeldt hantiert mit dem Instrumentarium des Kinos (»The Opening / Laterna Magica«, 2007/09), teilt in Split-Screen-Technik die Bildfläche auf, demontiert Genre-Elemente (die des Thrillers in »The Swap«, 2015), knöpft sich gewitzt den Charakter des »Perfectionist« (2005) und seiner vergeblichen Anstrengung vor, als sei er radikaler Nachfolger von Jacques Tati. Wir erkunden ausgemergelte Landschaften mit Zivilisationsresten, einer mächtigen Tempelanlage, einer monströsen Industrieruine, durch die sich Menschlein in Schutzanzügen wie Eroberer und Entdecker, eigentlich mehr wie Verlorene und Gestrandete bewegen, wimmeln, ausschwärmen und Muster bilden (»In the Land of Drought«, 2015/17).
»Lust is a force«
In dem schwarzweißen »Deep Gold« stürzt sich ein eleganter Mann im Smoking vom Balkon, irrt durch abgewrackte Straßen und freudlose Gassen, über die ein Luftballon in Zeppelinform fliegt, während Nackte spazieren, die einen marschieren, andere hinken oder tanzen, und ein Lautsprecherwagen die Namen berühmter Stars, Künstlerinnen, Dichterinnen ausruft.
Ähnliches passiert in »Manifesto« mit Blanchett als Puppenmacherin, die Heroen der Geistes- und Monster der Weltgeschichte, Diktatoren, Ideologen, Celebrities auf handliches Format schrumpft. Wir betrachten so: Freud, Marx und Jelinek, Marlene, Marilyn und King Kong, Rosa Luxemburg und Mutter Teresa, Lenin, Brecht und Gandhi… – Rosefeldt greift sich beherzt das ganze Pantheon und Walhall.
Zurück zu »Deep Gold«. Der Mann im Abendanzug strandet in einer Bar, wo eine männliche Josephine Baker auftritt, Tänze des Lasters über die Bühne gehen und eine Kokotte Isoldes Liebestod singt, bevor der Blick hinter die Kulissen auf die Filmcrew samt Catering-Bude die letzte Illusion zerstört. Die Schlusseinstellung zeigt die Auslage eines Spielzeugladens mit einem Traumschloss wie Neuschwanstein; davor parkt ein Reisebus mit der Aufschrift »Lust is a Force«.
Das Befremden gegenüber der Welt, ihren Gestalten und Gestaltungen, Orten und Un-Orten, ihren Begehrlichkeiten und Untugenden bricht bei Rosefeldt auf zu sensationellen Exkursionen in Rituale des Alltags, zu denen an vorderer Stelle die Arbeit gehört. Zur Schicht (»The Shift«, 2008), die nicht nur aus Brotzeit und Kaffee besteht, gehört in der Montage und Soundsinfonie das Begehen und Bewachen einer Computer-Apparatur, von unterweltlichen Stollen, Hallen, Sälen, Archiven, Fluren, Treppenhäusern, bis die Leinwand sich zum absoluten Film abstrahiert.
In dem neunteiligen, jeweils 50-minütigen Zyklus »Asylum« (2001/02) konfrontiert sich in der letzten Episode eine Gruppe junger Männer, alles Schwarze, in der Münchner Gipsabdrucksammlung lautlos mit den reinweißen Kopien antiker Statuen. Ab und an holen sie unter ihren schwarzen Blousons bunte Püppchen hervor, die sie lärmen und tanzen lassen. Es bedarf keiner Worte, um diese doppelte Provokation zu erfassen. Eine Irritation, umso größer, als der Schock scheinbar gemildert wird durch das Schöne des Arrangements.
»Euphoria«, 90 Min., Eröffnung: 25. August, 18 bis 21 Uhr, bis 10.9., jeweils 12 bis 19.30 Uhr, Halle 5, UNESCO Welterbe Zollverein, Essen.