Sturm und Drang. Geniezeit. »Es war getan fast eh gedacht.« So die Zeile in Goethes Gedicht »Willkommen und Abschied«. Wir spüren förmlich den Aufschwung in der Bewegung. Kein Atemholen. Kaum eine ruhige Minute. Immer Trubel, Action, immer auf 100. Das Moped reparieren in der Frühe um zwei Uhr, kochen wie für einen Großhaushalt, ein paar Runden schwimmen, zum Segeln aufbrechen, laute Musik im Auto, den Schulunterricht der Klasse aufstören, in der sein Sohn sitzt, eine Serie von 40 Gemälden, die sein Galerist Serge ihm abfordert, wobei er nicht nur mit dem Pinsel, sondern mit der ganzen Hand über die Leinwand fährt. Alles, was Lust macht, alles auf einmal.
In ihrem schönen Anwesen, inmitten von Grün, ist es beinahe immer dämmerig, wie gedimmt. Leben im Halbschatten, als ziehe ein Gewitter auf und die Wolken ballen sich dunkel zusammen. Leïla Bekhti und Damien Bonnard sind in Joachim Lafosses intensiver Studie von eindringlicher Präsenz: er eine Erregungsmasse, sie ein stiller Ozean, über dem Unwetter aufzieht.
Damien kann nicht abschalten, pausieren, inne halten. Er leidet an einer bipolaren Störung, nach deren Rhythmus er lebt. Und seine Familie mit ihm – Ehefrau Leïla und ihr Sohn Amine. Meistens steigt die Gemüts-Schaukel steil auf. Aber es gibt auch das Abwärts, einen Sog, der mit sich zieht.
Leïla muss so viele Rollen zugleich erfüllen und bewältigen: Partnerin, Erzieherin und Pflegerin, Frau und Mutter. Und dann restauriert sie auch noch Möbel. Sie behält alles im Auge, versucht, ihn zu mäßigen, Damien zu erden, hat kontrolliert zu sein und dafür zu sorgen, dass er sein Medikament, Lithium, nimmt, muss sich entschuldigen, wenn er die Leute im Dorf verstört. Wo ist die Grenze, wo der Kippmoment, da das Hyperaktive endet und der manische Schub beginnt, die Euphorie verfliegt und er sich selbst entgleitet?
Damien spürt, wie er unter Beobachtung steht: fühlt sich zensiert, eingeengt, bedrängt, bedroht. Dann holt ihn der Krankenwagen ab. Er wehrt sich mit Händen und Füßen. Schließlich wird er, völlig erschöpft, in die Klinik abtransportiert. Leïla kann sich entspannen. Zurückgekehrt, ist Damien wie verwandelt, entkräftet, matt und nicht einmal in der Lage, allein aus der Badewanne zu steigen. Der Sonnengott als Winterschläfer.
Die Situation ist für alle Drei so explosiv, dass Entladungen nicht ausbleiben. Auch die Scham, das Misstrauen, die Panik wachsen mit der Krankheit und ihrer Heillosigkeit. Die Kamera lässt Damien am Ende bei seinem Boot zurück, während Mutter und Sohn im Auto wegfahren. Nichts ist ruhig gestellt. ****
»Die Ruhelosen«, Regie: Joachim Lafosse, Belgien / Luxemburg / Frankreich 2021, 110 Min., Start: 14. Juli