»Aktive Sterbehilfe ist verboten«, sagt der Arzt. »Es wird nicht mehr besser werden«, weiß Juliane, die Tochter, von deren todkranker Mutter sie sprechen. Die Krankheit bleibt lange namenlos. Der Befund tut nichts zur Sache, es ist eine Krankheit zum Tode.
Kerstin Schubert ist keine alte Frau, gerade mal 64. »Selbstbestimmtes Sterben« sei immer möglich und würde von den Patienten auch durchaus als human empfunden, meint der Arzt. Heimpflegerinnen sind da zur Unterstützung. Es sei »kein Leben mehr«, empfindet Kerstin es selbst, ihr Körper ist für sie ein Gefängnis. Sprechen, sehen, auch das Denken sind eingetrübt. Bewegen ist nicht möglich. Lachen kann sie und weinen, auch träumen und ihrer Angst, dem Schmerz und Unglück Ausdruck geben. Sie will wach bleiben bis zum Ende, aber will nicht allein sein, besonders in der Nacht nicht. Die Wärme einer Hand spüren, die vertraute Stimme hören.
Elsie de Brauw als Kerstin tut und zeigt so wenig und so viel, wie in jedem Moment richtig ist. Das ist grundverschieden von Technik und Timing, eher eine sensitive Sicherheit und Fühlungnahme, etwas Unlernbares und kaum Auffindbares, vielleicht in den Worten eines Rilke-Gedichts.
Hand an sich legen, das sagt sich so und klingt recht einfach. Die Mutter will das Essen und Trinken aufgeben, um zu sterben. Etwas zum Einnehmen nimmt sie nicht, sie möchte niemanden zum Mörder machen. Ein Martyrium – »die Verwandlung in einen lebenden Leichnam« sagt Juliane – erleichtert durch Morphium vom Palliativmediziner, der keine große Hilfe darstellt.
Das Leben geht weiter für die Tochter – was auch sonst! Das ist richtig und zugleich furchtbar. Juliane, die Birte Schnöink gradsinnig und bedachtsam spielt, spricht mit Freunden, besucht ein Paar in der Pfalz, geht mit ihnen Saumagen essen unter einem Porträt von Helmut Kohl, trinkt irgendwo ein Bier, macht eine Wanderung, sitzt da und raucht. Am liebsten wohl ist sie für sich allein; ob auf dem Balkon, in Heimfluren oder unterwegs in der Natur, unter Bäumen, die stehen und schweigen. Die Mutter ist dabei, unsichtbar, anwesend als Abwesende. Einmal fährt Juliane sie im Rollstuhl über Feldwege hinaus ins Freie und liest ihr aus dem Briefwechsel Bert Brechts mit Helene Weigel vor.
Juliane hat eine genaue Vorstellung von diesen letzten Tagen und was sie dabei zu tun hat und wie sie sie zubringt. Sie hat viele Fragen, auf die es keine Antwort gibt, will wissen, um zu fühlen, beobachtet sich und die Mutter. Es ist, als würden wir den Stunden beim Vergehen zuschauen.
Jeder Tod ist eigen. Eine Welt für sich – die endet. Jessica Krummachers durch seine leise Tongebung, gütige Aufmerksamkeit und Unerbittlichkeit intensiver Film ist eine Einübung ins Sterben für diejenigen, die am Leben bleiben. Menschen ihres Lebens kommen an Kerstins Bett zum Aufrufen gemeinsamer Erinnerungen, Trauern und Abschiednehmen. Ein Exerzitium. Eine Zumutung. Und wenig Trost. Es sind ganz ruhige Bilder, Gesichter, auf die die Kamera lange still ihr starres Auge richtet, manchmal wie auf Gemälden von Heiligenlegenden und auf Darstellungen der Kreuzabnahme oder Grablegung mit Figuren, die sich hingeben, darbringen, überantworten. Nur: ohne Verklärung, Verwandlung, Versprechen.
Ein Kampf, schwer für die, die gehen, schwer für die, die bleiben. Der sterbende Mensch muss gehen gelassen werden. Aber gibt es überhaupt ein Begleiten auf der letzten Wegstrecke? Oder ist es nicht vielmehr so, dass die Andere, der Andere mehr und mehr zurückbleibt und schwindet – in beide Richtungen?
»Zum Tod meiner Mutter«, Regie: Jessica Krummacher, Deutschland 2022, 133 Min., Start: 9. Juni
NRW-Premiere: 4. Juni, Schauspielhaus Bochum, in Anwesenheit der Regisseurin und der Hauptdarsteller*innen