Ende April startet die 59. Ausgabe der Biennale di Venezia. Vorher sprachen wir mit Yilmaz Dziewior, Leiter des Kölner Museum Ludwig und Kurator des Deutschen Pavillons.
kultur.west: In ein paar Wochen eröffnet die Venedig Biennale, Sie waren letzte Woche erst dort. Was tut sich in den Giardini, Herr Dziewior?
DZIEWIOR: Es war noch recht ruhig, die Künstler*innen reisen wohl kurzfristig an, um ihre Arbeiten in den Pavillons zu installieren. Maria Eichhorn ist aber immer wieder vor Ort und verbringt viel Zeit in der Stadt. Ich habe sie in den letzten Monaten wiederholt dort getroffen. Sie ist tief eingetaucht in die Situation und in die Geschichte der Biennale. Auch gemeinsam haben wir dort Archive besucht.
kultur.west: Das Gelände mit seinen 28 Länderpavillons hat eine über 100 Jahre alte Geschichte, die greifbar bleibt. Auch mit Blick auf den 1938 zum wuchtigen Nazi-Bau umgestalteten deutschen Pavillon. Gibt es Biennale-Beiträge dort, die Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben sind?
DZIEWIOR: Künstler*innen haben mit ihren Arbeiten immer wieder auf den historisch aufgeladenen Ort reagiert. Eine Ausstellung, die mich nachhaltig beeindruckt hat, war die 1993 von Hans Haacke. Auch wenn ich sie gar nicht live gesehen habe. Haackes Installation hat ungeheuer eindrücklich auf den besonderen Schauplatz reagiert.
kultur.west: Er hatte den Marmorfußboden aufgebrochen und den Schutt herumliegen lassen. Die Besucher*innen stolperten sozusagen über ein Trümmerfeld der Geschichte.
DZIEWIOR: Ja, sie waren wirklich involviert. Grundsätzlich finde ich die Präsentation einzelner Positionen im Pavillon eindrucksvoller als Gruppen-Ausstellungen. Auch Rosemarie Trockels Auftritt ist mir gut in Erinnerung geblieben. Sie war ja 1999 die erste Künstlerin, die an diesem Ort solo gezeigt wurde. Die ganz unterschiedlichen Herangehensweisen an diesen Schauplatz, an den besonderen Kontext der Biennale sind für mich immer wieder aufs Neue spannend.
kultur.west: Haben Sie lange nachgedacht über den Kandidaten, die Kandidatin für Venedig, oder ist ihre Wahl rasch auf Maria Eichhorn gefallen?
DZIEWIOR: Ich bin durchaus verschiedenen Überlegungen nachgegangen. Würde es zum Beispiel Sinn machen, in unserer Zeit jemanden auszuwählen, der nicht in Deutschland geboren wurde? Um Fragen kultureller Identität anzusprechen, die mich ohnehin interessieren. Auch mehrere ganz junge Künstler*innen habe ich mir angeschaut. Entschieden habe ich mich schließlich für Maria Eichhorn. Ihr Werk überzeugt mich, und ich halte die Künstlerin für geradezu prädestiniert für den Auftritt im deutschen Pavillon. Weil sie sich immer wieder sehr prägnant und präzise mit deutscher Geschichte auseinandersetzt.
kultur.west: Eichhorn bezieht in ihren Werken schon lange Stellung zu gesellschaftlichen Themen, sie hinterfragt historische Prozesse, analysiert ökonomische oder soziale Systeme. Es scheint, als sei die Kunst allgemein wieder politischer geworden. Wie sehen Sie das?
DZIEWIOR: Es gab in der Geschichte immer beides nebeneinander: Auf der einen Seite Künstler*innen, die ein stärkeres Interesse an autonomen Werken hatten und sich mit formalen Fragestellungen auseinandergesetzt haben. Und auf der anderen Seite Positionen mit einer politischen, gesellschaftlichen Ausrichtung. Was allerdings in jüngerer Zeit auffällt, ist die Zuspitzung: Beide Seiten driften auseinander und finden kaum mehr zusammen.
kultur.west: Haben sie eine Erklärung dafür?
DZIEWIOR: Vereinfacht ist das mit unserer Situation zu erklären. Wir leben in Krisenzeiten, das ist ja offenkundig. Und es scheint mir nachvollziehbar, dass es das Bedürfnis gibt, sich damit zu Beschäftigen. Nicht nur Menschen, die Kunst kaufen können, haben dieses Bedürfnis. Vielmehr sucht eine breite Öffentlichkeit die Auseinandersetzung mit dieser Krisensituation – auch durch die Kunst.
kultur.west: Beim zweiten großen Kunstereignis dieses Jahr – der documenta fifteen – zeichnet sich die Zweiteilung noch klarer ab.
DZIEWIOR: Ja, da werden vor allem Künstler*innen vertreten sein, denen es verstärkt um ein gesellschaftliches Involvieren, um das Zwischenmenschliche geht, viel weniger aber um ein Kunstobjekt, das man auch kaufen kann. Überschneidungen mit dem Kunstmarkt kommen in Kassel so gut wie gar nicht vor – was ich sehr interessant finde. Ausgesprochene Kunstmarkt-Künstler, Damian Hirst etwa oder Takashi Murakami, sucht man bei der documenta und auch bei der Biennale in Venedig vergebens.
kultur.west: Doch der Kunsthandel floriert weiter.
DZIEWIOR: Die gesellschaftliche Teilhabe ist die eine Seite, die andere ist der Markt. Das Kapital konzentriert sich immer stärker, die soziale Schere geht auseinander. Vermögende suchen Anlagemöglichkeiten – und Kunst hat sich als gewinnträchtiges Investment erwiesen. Wie ich es sehe, driften diese beiden Sphären – marktgängige Kunst und gesellschaftlich engagierte Kunst in letzter Zeit auffallend auseinander.
kultur.west: Noch einmal zurück nach Venedig. Mittlerweile ist bekannt, welche Richtung die Hauptausstellung der Biennale einschlagen wird. Mit vielen Frauen – vom Surrealismus bis in die Gegenwart. Und mit existenziellen Fragestellungen. Wie denken Sie über dieses Konzept?
DZIEWIOR: Ich bin zuerst einmal begeistert. Es gibt viele Überraschungen. Zahlreiche Positionen, die man nicht so gut kennt, aber auch prominente. Ich finde es gut, dass viele Künstlerinnen vertreten sein werden. Es ist doch interessant: Wenn früher die Biennale-Ausstellung zu 90 Prozent Männer präsentierte, dann hat man darüber kein Wort verloren. Aber jetzt, wo die Proportion mal ein bisschen anders ist, wird das überall thematisiert und kommentiert. Es zeigt, dass es wirklich ein weiter Weg dahin ist, einen hohen Frauenanteil als Selbstverständlichkeit zu betrachten.
kultur.west: Können Sie absehen, inwieweit aktuelle Themen – vor allem der Krieg in der Ukraine – auf der Biennale zur Sprache kommen oder spürbar sein werden?
DZIEWIOR: Bei meinem Aufenthalt jetzt war ich gemeinsam mit Maria Eichhorn auf einer Antikriegsdemo in Venedig. In der Stadt ist der Ukraine-Konflikt präsent und damit auch auf der Biennale spürbar. Und durch die Abwesenheit der Kunst und der Künstler*innen im russischen Pavillon wird dieses Thema auch ganz konkret gegenwärtig sein in den Giardini.
Der Kurator
Es ist nicht sein erster Pavillon. 2015 kuratierte Yilmaz Dziewior bereits Österreichs Beitrag zur Biennale in Venedig. Der 1964 in Bonn geborene Kunsthistoriker leitet seit sieben Jahren das Museum Ludwig in Köln, war vorher schon Direktor des Kunsthauses Bregenz und des Hamburger Kunstvereins. Sein besonderes Interesse galt und gilt dabei gesellschaftlichen Fragestellungen. Dziewior stellt den kunsthistorischen Wertekanon in Frage, in dem er Künstler*innen aus bisher wenig beachteten Regionen in den Fokus rückt. Auch die Stärkung weiblicher Positionen ist ihm wichtig. Mit Maria Eichhorn hatte Dziewior als Kurator schon mehrfach zusammengearbeitet.
Die Künstlerin
Maria Eichhorn ist keine Neue in Venedig. Sie stellt bereits zum vierten Mal bei der Biennale aus. Auch sonst sieht man die 1962 in Bamberg geborene Konzept-Künstlerin immer wieder bei wichtigen Kunstereignissen. Mit oft überraschenden Arbeiten: Anlässlich der Skulptur Projekte in Münster etwa erwarb sie 1997 ein Grundstück im Stadtzentrum, um es später wieder zu verkaufen und den Erlös einem Verein zu spenden, der gegen Gentrifizierung kämpft. Bei der letzten Documenta gründete sie in Kassel das Rose Valland Institut zur Erforschung der Enteignung von Juden in Europa und deren Auswirkungen bis in die Gegenwart. In ihren Arbeiten versucht Eichhorn oft, bestehende gesellschaftliche Ordnungen zu durchleuchten. In Venedig wird sie sich wohl mit der bewegten Geschichte und der Gegenwart des Deutschen Pavillons beschäftigen.
La Biennale di Venezia, 23. April bis 27. November