Eine Computertomographie zeichnet die Struktur des Gehirns auf. André Bernheim, Industrieller, musischer Mensch und Kunstsammler, hat einen Schlaganfall erlitten, wird zum Pflegefall. Zwar macht er körperlich Fortschritte, motorisch und auch psychisch, aber verliert seinen Kampfgeist: »Leben ist nicht überleben.« Er will sterben und bittet eine seiner beiden Töchter, Emmanuèle, »ihm zu helfen, es zu beenden«, wie er mit aller Entschlusskraft sagt. André Dussollier spielt mit bewundernswertem Mut die Hilflosigkeit und, ja, die Verstümmelung des Alters, aber lässt auch im Verfall noch geistige Präsenz, Humor und Charme erkennen.
François Ozon ist in all seinen Filmen – Drama (»Die Zeit die bleibt«), Thriller (»Swimmingpool«), Komödie (»Das Schmuckstück«), Musical (»Acht Frauen«), Liebesfilm (»Frantz«) – ein Vivisekteur am Körper der Familie, ihrer Krankheiten und Auswüchse, ihrer Herzschläge und Herzattacken. Auch in »Alles ist gut gegangen«, der vom existentiellsten Krisenmoment erzählt – aus der Perspektive von Emmanuèle. Die sehr gereifte Sophie Marceau entwirft das Psychogramm einer Tochter, Schwester, Frau und Schriftstellerin (der Film entstand nach dem Buch von Emmanuèle Bernheim) in ihrer Angst vor der Zumutung, der Verantwortung, dem Endgültigen und in ihrem ambivalenten Verhältnis zum Vater. Sie macht sich kundig über rechtliche Fragen und Sterbehilfevereine, allerdings in der Schweiz, denn in Frankreich ist organisierte Beihilfe nicht erlaubt, und trifft eine ehemalige Richterin aus Bern, die assistierende Sterbehilfe leistet – und von Hanna Schygulla mit heilig-weisem Ernst dargestellt wird.
Einmal steht Emmanuèle in ihrem Badezimmer vor dem Spiegel, zieht das Augenlid herunter und den Mundwinkel schief in Nachahmung des teils gelähmten Gesichts ihres Vaters und erinnert sich (in Rückblenden) an ihre Kindheit mit einem sie kritisierenden, lieblosen, ihr seine eigenen Probleme und das Unglück seiner Ehe aufhalsenden »Mistkerl«, dem sie damals den Tod gewünscht hatte. Einmal träumt sie, ihn zu erschießen – Gnadenakt für ihn, Befreiungstat für sich selbst? Beim letzten Abendessen in Andrés Lieblingsrestaurant bricht sie auf der Damentoilette in Tränen aus.
Es gibt noch Andrés Frau Claude, eine Bildhauerin, die ausschließlich mit der Farbe Grau gearbeitet hat, selbst krank und von Depression, Parkinson und ihrer Unerbittlichkeit gezeichnet ist. Charlotte Rampling, Ozons Lieblingsschauspielerin, verleiht ihr besondere Würde. Die zweite Tochter Pascale, Mutter zweier Kinder, tritt gegenüber Emmanuèles Engagement etwas zurück. Aber sie handeln gemeinsam, auch als ihnen von der Staatsanwaltschaft Strafe wegen unterlassener Hilfeleistung droht. Nebeneinander schlafen die Schwestern ein, während ihr Vater seine letzte Fahrt unternimmt. Und dann ist da noch der labile Gérard, Andrés ehemaliger Liebhaber, der nicht ohne Grund aus dem Familienkreis ausgeschlossen wurde.
»Alles ist gut gegangen« ist ein großartiger Schauspielerfilm, wie gewohnt von François Ozon. Und ein äußert genauer, konzentrierter, gerade durch seinen unspektakulären Gestus beunruhigender Film. Stilistisch liegt er am Gegenpol von Patrice Chéreaus nervöser Toten- und Lebensfeier »Wer mich liebt, nimmt den Zug« von 1998, dem Jahr, als Ozon zu filmen begann, und kommt ihm thematisch dennoch nahe.
»Alles ist gut gegangen«, Regie: François Ozon, Frankeich 2021, 114 Min., Start: 14. April