Ist Nachbarschaft die Wahlverwandtschaft der Architektur? Wohl nicht so ganz, da die Wahl des Nachbarn selten ganz freiwillig ist. Jeder Neubau muss mit dem umgehen, was bereits da ist, ob er will oder nicht. Ein guter Entwurf muss sich zu seiner bereits vorhandenen Umgebung in Beziehung setzen – durch Abgrenzung und Selbstbehauptung oder durch Annäherung und Anpassung. Egal wie, die Beziehung zur Nachbarschaft sollte Teil eines jeden Entwurfskonzeptes sein.
Wie so oft bei Architektur aus Österreich hat auch der Bau vom Büro »Alles wird gut« für die Funke Medien Gruppe am Berliner Platz in Essen einen Hang zur Großform, der nah an der Klobigkeit ist. Glastonne und schwarzer Riegel, letzterer aufgeständert auf schrägen Betonpfeilern, die gar nicht erst versuchen, durchlässig oder luftig zu wirken. Auch der abgesetzte Rundbau hat trotz vollflächiger Verglasung nichts Leichtes oder Elegantes. Das Ensemble wirkt schwer und in seiner geringen Detaillierung fast grobschlächtig, auf jeden Fall durch die einfache Form überdeutlich und dominant. Und ist doch genau damit ganz richtig an dieser Stelle: In der Bebauung am Berliner Platz wäre jede elegante Zurückhaltung fehl am Platz. Im zentralen Kreisverkehr verdichtet sich die Notwendigkeit einer tiefgreifenden innerstädtischen Verkehrswende – auf der einen Seite die Shoppingcenter-Blechbüchse des »Limbecker Platz« und gegenüber die verwachsenen Achtecktürme des Cinemaxx in ihrer ganzen Leberwurstigkeit. Da funktioniert ästhetische Behauptung nur durch schlichte Größe oder sogar Wuchtigkeit. Das leistet der Entwurf von »Alles wird gut«, ohne dabei übers Ziel hinauszuschießen und die ästhetische Verwahrlosung der Nachbarschaft noch übertreffen zu wollen.
Auch das Büro »Ortner & Ortner Baukunst« hat seinen Ursprung in Österreich. In Duisburg entwarfen die Architekt*innen die Fassade des Einkaufszentrums »Forum« in der Königstraße. Auch hier: Ein klares Bekenntnis zur großen Form, jedoch abgefedert durch die Aufteilung der Straßenfront durch zwei unterschiedliche Fassadenmaterialien – Klinker und weißer Werkstein. Die oberen Geschosse sind formal und in der Fassadenrasterung deutlich abgesetzt, so dass eine an die Nachbargebäude angepasste Traufhöhe simuliert wird. Das »Forum« ist Teil einer Gesamtplanung, zu dem auch das gegenüberliegende »Citypalais« gehört: Ein wirres Durcheinander an architektonischen Ideen vom Büro »Chapman Taylor«. Da kragt plötzlich ein bildschirmartiger Kasten aus, darüber ein vollverglastes Staffelgeschoss, daneben scheint eine Art Schiffsrumpf das Gebäude zu durchstoßen. So unklar ist, was das alles soll, ist doch etwas anderes das Schlimmste an diesem Bau: Der rosafarbene Werkstein an der Vorderfassade ist von beeindruckender Schäbigkeit. Sollte diese Farbe etwa an Buntsandstein erinnern? Dass das Gebäude auch als Passage angelegt ist, die nirgends hinführt und nur schlecht funktioniert, ist da nur noch eine Randbemerkung.
In Nachbarschaft zu dieser Marshmallow-Architektur konnte »Ortner & Ortner Baukunst« nur dagegenhalten. Jeder Schritt auf die billige Optik der Palais-Fassade zu, wäre ein Fehler gewesen. Natürlich lässt der Klinker am »Forum« das Rosa gegenüber noch schlechter aussehen. Aber mehr Minderwertigkeit daneben zu stellen, hätte es auch nicht besser gemacht.