Der Beginn: Ein Dutzend Studierende der Theaterwissenschaft und ein Informatiker schließen sich zusammen. Das war 2009, in Bochum. Überwachung und Privatsphäre sind damals die Themen, an denen sie sich reiben. Inwiefern Medientechnologien unsere Arbeit, unsere Kommunikation und damit das Verhalten der Menschen beeinflussen, das ist schon eine zentrale Frage ihrer ersten Arbeit »Projekt: Mensch 2.0«. Der erste Spielort: ein Moderationslabor im Institut für Arbeitswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum. Dort werden sonst neue Formen des Lehrens und Lernens erforscht. Allein dieser Start erzählt schon eine ganze Menge über das Theaterkollektiv Anna Kpok.
Zwölf Jahre später sind Themen wie Tracking und Online-Identitäten durch die digitale Entwicklung virulent geworden. Die Pandemie hat den Umgang mit digitalen Tools – auch in der Theaterszene – ordentlich vorangebracht. Und das Publikum von Anna Kpok hat bis heute in keiner einzigen ihrer Produktionen auf einer gewöhnlichen Theatertribüne gesessen. Denn das Kollektiv arbeitet weiterhin an der Frage, wie Menschen in den direkten Austausch kommen können, während sie Kunst erleben. Der Raum spielt dabei eine zentrale Rolle.
In ihrer letzten Arbeit »Umgeben von Dingen«, die im November 2021 als interaktive Installation im Ringlokschuppen zu erleben war, liefen die Zuschauer*innen durch vier verschiedene Räume oder setzten sich an die Bar. Von »zuschauen« konnte da auch eigentlich gar nicht mehr die Rede sein. Anna Kpok enthierarchisiert die Theatersituation, Zuschauende sind immer auch aktiv Beteiligte, die die Performance beeinflussen, voranbringen, mitgestalten.
Ihre neue Arbeit »Anna Kpok – Der erste Kontakt«, die am 25. Februar Premiere hat, verlagert die Begegnung komplett in den digitalen Raum. Das »Live-online-Multiplayer-Theaterprogramm«, wie sie das Werk selbst bezeichnen, erprobt das Tool »Gather Town« als Plattform für Theater. Die Idee ist entstanden aus einem Workshop an der Schaubude Berlin. Das experimentelle Objekt- und Figurentheater in der Hauptstadt ist seit einigen Jahren ein guter Partner der Annas. Als Host hat das Kollektiv längst Erfahrungen mit Gather Town, jetzt geht es darum, wie in dieser virtuellen Welt Theater gespielt werden kann.
Zur Geschichte: Eine außerirdische Zivilisation hat eine Kommunikationsanfrage an die Erde gestellt. Um in Kontakt treten zu können, müssen alle Spezies der Erde erzählen, was sie ausmacht. Was ist der Mensch? – da ist sie wieder, die Frage der Annas, die sich durch all ihre Arbeiten schlängelt. Bis zu 20 Spieler*innen können teilnehmen, sie müssen Fragen beantworten und Aufgaben lösen – mal allein, mal in der Kleingruppe, mal mit allen zusammen. Dabei geht es nie um Einzelmeinungen, sondern um Diskussion und ein Sich-einigen. Das Prinzip der kollektiven Arbeit überträgt Anna Kpok auch inhaltlich auf ihre Produktionen. Immer erzeugen sie Gruppensituationen – online oder offline. Ihre theatralischen Versuchsanordnungen verorten sie in der analogen wie in der digitalen Welt, immer spielerisch, häufig auch ortsspezifisch.
Gesendet wird aus dem Ringlokschuppen Mülheim. Das Koproduktionshaus, eine zentrale Spielstätte für die Freie Szene in NRW, ist seit 2010 fester Partner der Künstler*innengruppe. »Sie haben uns von Anfang an gefördert. Schon, als wir noch Studierende waren, konnten wir die Bühne nutzen. Das ist besonders«, sagt Klaas Werner, Gründungsmitglied von Anna Kpok und zusammen mit Kristin Naujokat verantwortlich für die aktuelle Arbeit. »Der erste Kontakt« haben sie gemeinsam mit der Softwareentwicklerin und Videokünstlerin aus Berlin, Grit Schuster, entwickelt. Zum aktuellen Anna-Team aus sieben Mitgliedern, die mittlerweile verteilt übers Land in Köln, Berlin, Leipzig und dem Ruhrgebiet leben, stoßen für die verschiedenen Produktionen immer wieder externe Künstler*innen dazu. Das bereichert, weitet Horizonte, setzt neue Impulse.
Theater als dialogischer Prozess
Vor jeder Arbeit stellen sie sich immer die Fragen: Womit arbeiten wir, wie sieht unsere Welt aus, wie groß ist die, ist sie fiktiv oder real? Solch eine Herangehensweise führt Anna Kpok dicht heran an die Figurentheaterszene, in der Material wie Welterzeugung immer neu ausgehandelt werden. Nach jeder Inszenierung bieten die Künstler*innen ihrem Publikum eine Nachbesprechung an. Sie verstehen Theater als dialogischen Prozess, in der Entwicklung wie in der Ausführung. Und die Frage, wie digitale Logik auf das Theater übertragbar ist, wie Narrative des Digitalen funktionieren können, führte sie zum Game Theater. Was sie vom Gaming gelernt haben, erklärt Kristin Naujokat: »Wir entwerfen immer einen ungewöhnlichen Raum. Und wir erklären die Spielregeln. Zumindest einen Teil davon.«
Natürlich müssten sie aufpassen, sich im World-Building nicht zu verlieren. Klar, manchmal explodiere es, das bringe die Arbeit in der Gruppe mit sich. Aber dafür ist auch immer jemand da, der mit aufpasst, korrigiert, austariert. Ihnen allen gemeinsam ist das Interesse an Science Fiction, diese Spielfreude. Aber sie setzten sich auch kritisch mit dem Genre auseinander. Klaas Werner beschreibt es so: »Kreuzfahrt-Space-Tourismus ist problematisch. Aber dadurch lässt sich eben auch gut etwas erzählen«.
»Anna Kpok – Der erste Kontakt«: 25. und 26. Februar