Kein Fleck auf dem Parkett, der Papierkorb geleert, alle Plastikboxen geordnet im Regal. Nicht ein Zettel zu viel auf den beiden blitzblanken Schreibtischen, die Seite an Seite mitten im kleinen Hinterhof-Studio stehen. So hätte man sich das Kreativlabor von aerosoap kaum vorgestellt. Wenigstens ein bisschen Chaos wäre doch wohl zu erwarten gewesen. Darauf angesprochen, werden Frédéric Wiegand (Jg. 1978) und Thomas Wirtz (Jg. 1981) fast ein bisschen verlegen. Und geben zu: »Vor dem Besuch haben wir hier gründlich aufgeräumt.« Für gewöhnlich sehe es ganz anders aus in diesen vier Wänden. Das glaubt man gern, schließlich lebt die Arbeit der beiden Designer vom echten Experiment – mit Seifenblasen, Trockeneis und Luftballons. Mit Vogelfutter, das Walzer tanzt oder mit farbigen Flüssigkeiten, die durch die Luft fliegen und in slow motion auf dem Fußboden landen.
Manchmal würden sie gefragt, welches Computerprogramm hinter der ein oder anderen Gestaltung stecke. Man kann ja allerhand digital simulieren. Doch aerosoap baut auf das Authentische. Und auf den Zufall: »Man muss die Dinge ausprobieren – Material reagiert selten so, wie man es sich im Kopf vorstellt.« Dieses Prinzip hat das Duo wohl auch zusammengeschweißt. Kennengelernt haben sich Wiegand und Wirtz vor 15 Jahren an der Hochschule in Düsseldorf. Der eine war fast fertig mit dem Designstudium, der andere fing gerade an. Es folgten verschiedene gemeinsame Arbeiten und mittlerweile ist klar: »Bei unseren Projekten sind wir komplett eins.« Ohne einander würde es auch kaum funktionieren, wie beide betonen. Wiegand: »Thomas hat meistens die guten Ideen, ich schaue dann, wie man das technisch umsetzen kann.« Und Wirtz: »Technisch kriegt Frédéric Dinge hin, von denen man denken würde, dass sie gar nicht möglich sind.«
Ein Blick auf die transparenten Plastikboxen im säuberlich sortierten Regal spricht Bände: Links Wiegands Apparate mit Kabeln, Buchsen, Steckern. Rechts die Sprühdosen und Kerzen von Wirtz, dazu aufgeblasene Einweghandschuhe und Döschen mit Seifenblasen. Der eine ist zuständig für die Technik, der andere kümmert sich ums Material. Dabei komme es ganz selten vor, dass sich einer von beiden auf die Seite des anderen verirre.
Die Arbeitsteilung funktioniert perfekt. Schon bei der Masterarbeit von Thomas Wirtz hatte Frédéric Wiegand mit Tipps zur technischen Umsetzung geholfen. Und wenig später konnten sie dann als Team ihren Durchbruch feiern mit dem Corporate Design für die Adobe MAX Creativity Conference in Las Vegas, die weltgrößte Kreativkonferenz. Dafür hatten sie eine Art Labyrinth-Logo entworfen und auf ganz unterschiedliche Weise zum Leben erweckt. Mit Funken und Feuer, Explosionen, mit farbigen Substanzen, die sich ihren Weg durch die Schriftzeichen bahnten. aerosoap: »Wenn man es schafft, einen kleinen, echten Moment der Irritation hinzukriegen. Dass die Welt für einen Augenblick auf den Kopf steht. Dann weckt man damit mehr Aufmerksamkeit als mit einer riesigen, rein digitalen Explosion auf dem Bildschirm.«
Man hört förmlich ihr Herz ein bisschen schneller schlagen, wenn sie die Fotos und Videos von damals aus Las Vegas zeigen: Zwei junge Designer aus Düsseldorf auf Erfolgstrip in den USA. Es gab dann auch noch einen Folgeauftrag und einige Anfragen. Offenbar hatten Wirtz und Wiegand mit ihrer sehr speziellen Mischung aus Design, Physik und Experiment eine Nische aufgetan. Wirtz: »Was wir machen ist echt, sieht echt aus, und das Bedürfnis nach Realem ist in den letzten Jahren gewachsen.« Auch die Unis wurde wach. Die Universität der Künste in Berlin und die Hochschule in Düsseldorf engagierten das kreative Duo für Lehraufträge.
Da lag die Firmengründung nicht mehr fern. Zuerst musste eine Website her, das fiel den beiden leicht. Was die wirtschaftliche Seite angeht, mussten und müssen sie noch immer einiges dazulernen. Auch die Namensfindung sei ein Kampf gewesen, den Wirtz und Wiegand am Ende jedoch recht unkompliziert beenden konnten: »Wir haben in unser Regal geschaut und überlegt, welches Material wir am meisten benutzen – so sind wir auf die Seife gekommen, kombiniert mit verschiedensten Aerosolen.«
Was so schwungvoll begonnen hat, bekam mit Corona vorübergehend einen dicken Dämpfer. Zumindest kreativ wusste aerosoap die Flaute aber gut zu nutzen. Inspiriert von den Schutzschirmen der ersten Welle entwarfen sie etwa »Soap Masks« mit Visieren aus Seifenmembran: Bläst der Träger von innen gegen die Haut, bilden sich schillernde Blasen. Per Social Media ging die Idee um die Welt. Und fand so viele Fans, dass die Düsseldorfer gleich noch einen medienwirksamen Coup ausheckten: »Limbo Cocoon« heißt jene gruselig schleimige Angelegenheit, die sich auf der Website von aerosoap weiterhin nacherleben lässt. Man kann ihn nicht erkennen, doch ist es Thomas Wirtz, der seinen Kopf in stromleitendem Slime gebadet hat. Wenn Wiegand seine Hand auflegt und wieder löst, zieht das Zeug Fäden – Klänge ertönen, und an der Stelle der Augen leuchten Kreise auf. So etwas macht den beiden einen Riesenspaß, das merkt man.
2020 wurden aerosoap von der Bundesregierung als »Kreativpiloten« ausgezeichnet, was ihnen durch die Krise half. Und mittlerweile flattern auch wieder die Aufträge ein. Sie sind froh, nicht mehr in Wirtz‘ Einzimmerwohnung herumexperimentieren zu müssen. Dank Ebay-Kleinanzeigen konnten aerosoap jene drei Hinterhof-Zimmer im Düsseldorfer Stadtteil Derendorf ergattern und zum Firmensitz ausbauen. Vor dem nächsten Besuch, das ist versprochen, wollen sie sich ein bisschen weniger Mühe beim Aufräumen machen – und dem kreativen Chaos eine Chance geben.