Das Lied können wir nun nicht mehr ohne das eine schon ikonisch gewordene Bild hören und sehen. Hildegard Knefs »Für mich soll’s rote Rosen regnen« nicht mehr ohne die schlichte Frau mit dem blondierten Haar im hochgeschlossenen schwarzen Mantel und ihrer gefassten, manchmal um Fassung ringenden Miene. Wenn also im Düsseldorfer Schauspielhaus, wo Angela Merkel vor nicht langem zu Gast war, Schillers »Maria Stuart« mit einigen Phrasen und Versen aus dem Knef-Evergreen beginnt, wenn auch pop-elektronisch verzerrt, so hat das etwas zu bedeuten.
Vorstellbar, dass beide königliche Damen so geantwortet hätten wie Merkel, als sie allein unter Frauen gefragt wurde, ob sie sich selbst als Feministin bezeichnen würde. Die Kanzlerin ließ mehr Zögern erkennen – sie wolle sich nicht mit fremden Federn schmücken –, als eine klare Absage oder Zustimmung. Was auch sollten Worte über einen ihr gewissermaßen angetragenen feministischen Ehrenvorsitz beweisen, wo doch Taten vorliegen.
Nun, viereinhalb Jahrhunderte früher, zwei Herrscherinnen, zwei einander so ähnelnde und doch weit auseinanderstrebende Lebensläufe und Geschicke. Die eine, katholische Maria, rechtens Schottlands Königin und kaum erwachsen Königin von Frankreich und bald darauf schon Witwe, bevor sie nahezu 20 Jahre in Exil und Gefangenschaft ihrer protestantischen »Schwester« verbringen muss, wird mit Mitte 40 zum Henkerstod verurteilt. Die andere, ältere, die Eiserne Jungfrau, verstoßen zunächst nach der Hinrichtung ihrer Mutter Anne Boleyn von ihrem Vater, dem achten Heinrich, besteigt nach manchen Wirren 25-jährig Englands Thron. Sie, die ledig bleiben wird, gibt einem Zeitalter, dem Elisabethanischen, ihren Namen, stärkt das Inselreich im europäischen Machtgefüge und festigt es im Innern, auch in mörderisch blutigen Konflikten.
Kaum zu entscheiden, wie Aktiva und Passiva verteilt sind, wie selbst- oder wie fremdbestimmt die Königinnen sein konnten. Regisseurin Laura Linnenbaum jedoch scheint es zu wissen.
Hinein in den Disput der beiden Rivalinnen, der sich in einem nur einen Spalt offen haltenden Raumpanzer ereignet, und die Begegnung abrupt beendend, stoßen die Männer von Elisabeths Hof, sechs an der Zahl mit Lord Leicester und dem jungen Mortimer vornweg. Sie krabbeln über die schräg terrassierten, rot geäderten Blöcke, die sich zur massiven Wand abdichten lassen (Bühne: Valentin Baumeister), auf die Frauen zu, bedrängen sie, drängen sie ab, verdrängen sie. Kriecher sind es, die als Schlips- und Kragenträger in eine Alleralltäglichkeit herabdemokratisiert sind und als beliebige Politmasken auftreten, die ihre Witterung ganz auf den nächstbesten Lobbyisten richten könnten. Mit solchen das starke Geschlecht markierenden Figuren lässt sich kein Staat machen, aber auch kein männlich dominiertes Herrschaftssystem behaupten oder desavouieren. Da fehlt doch entschieden etwas.
Friedrich Schiller, Dichter, promovierter Mediziner und Professor der Philosophie, der in Fiesco, Don Karlos, der Jungfrau von Orléans, Wallenstein, Tell und seiner Maria Stuart von 1800 das Historische kondensiert, schaltet und waltet souverän in seinen Stücken. Ein Chefstratege des Dramatischen. Komplott, Intrige und Kalkül, Verrat, Eifersucht und Liebesbetrug durchpulsen das Trauer- und Machtspiel, das in Düsseldorf trotz einiger Leibesübungen ziemlich statisch bleibt.
Elisabeth (Minna Wündrich), die anfangs in den Maria-Szenen oberhalb von ihr sitzt wie Marilyn Monroe bei ihrem von Bert Stern fotografierten »Last Sitting«, ist eine raisonable, leicht resignierte, durch einen Gran Humor das Leben ertragende, geschäftsmäßige Person, die im goldfarbenen Herrenanzug ihren Job macht. »Das Weib ist nicht schwach«, wie sie sagt. Im Grunde können ihr die Männer nicht das Wasser reichen und auf die Pelle rücken. Sie ist ihnen über. Für Maria (Judith Bohle) liegen die Dinge anders. Aufrührerisch, patzig fast und geifernd, windet sie sich wie ein Tier im Zwinger, bevor sie im verbalen Duell mit ihrer verwandten Feindin auftrumpft, bis die Regie ihr in die Parade fährt und sie um die Wirkung bringt.
Für Schablonen des Geschlechts taugen beide Ladies nicht. »Ich will, ich will«, so endet Knefs Song. Wille – aber zu welcher Freiheit, welchem Freisinn? Der adrett arrangierte Abend weiß die wesentliche Frage, die nach dem Namen der Rose, die er selbst stellt, nicht zu beantworten, weicht deshalb auf die formale und theoretische Ebene aus und schickt die Königinnen in ihre jeweilige Einsamkeit – beinahe eine diplomatische Leistung. Die gebrochene oder die voll erblühte Rose, »oh reiner Widerspruch«. Aber das ist nicht mehr Knef, sondern Rilke.
Aufführungen: 29. Januar sowie 7. und 15. Februar, Schauspielhaus