Die Theorie des zweifachen Königskörpers, des zeitlosen Symbols und der realen Person, der unsterblichen Institution und des Normalsterblichen wirkt auch in diesen intelligenten Film über Lady Diana hinein, der sich konzentriert auf das Weihnachtsfest 1991 (zehn Jahre nach der Eheschließung mit dem Prince of Wales), um das Trauerspiel einer fatalen Verbindung an diesem Fixpunkt zu entfalten. Die Vorstellung Diana Spencers und diejenige der Royals, zu denen sie kein Verhältnis fand bis in den Tod hinein und über den Tod hinaus, waren unvereinbar. An ihr schieden und scheiden sich die Geister.
Schon die brillant inszenierte, Fact und Fiction amalgamierende Netflix-Serie »The Crown« arbeitet sich an dem Konflikt ab: Wofür stehen die Königin und die Mitglieder des Hauses Windsor-Mountbatten? Sie sind (gerade auch im Selbstverständnis) eine Bastion gegen die Verbürgerlichung, die öffentliche Meinung und individuelle Präsentation als Mensch wie Du und Ich, sie behaupten sich als formale Existenz, die etwas Undurchdringliches, Abweisenden und Abwehrendes und darin Unmenschliches hat, das sich im Anders-Sein erfüllt und darin seine ‹ewige› Gültigkeit erfahren soll. Sarastros Zuschreibung des Tamino in Mozarts »Zauberflöte« steht dem entgegen: »Er ist Prinz.» – »Noch mehr – er ist Mensch.«
»Die Prinzessin der Herzen«, ein Titel, den, so haben wir es in Stephen Frears’ »The Queen« erfahren, der Labour-Premier Tony Blair kreiert hat, ist und tut das Gegenteil. Sie wählt das Populäre (ja, wird zeitgemäß zur Pop-Ikone) – und kommt dadurch um. Charles (Jack Farthing) ist ganz der Muttersohn, wenn er ihr entgegenhält: »the people don’t want us to be people«. Diana versucht die Synthese aus Nähe und Distanz – und scheitert.
Sie öffnet den Goldenen Käfig zu jedermanns Ansicht, aber bleibt selbst in ihm gefangen und wird als filigraner Paradiesvogel wie aus einer Murano-Glasmanufaktur zur Jagd freigegeben. Sie zerbricht. Insofern ist der Disput, den sie in »Spencer« mit Charles und dem von ihm repräsentierten System darüber führt, ob ihre beiden Söhne in die Tradition der Fasanenjagd wie in einen Initiationsritus eingeführt werden sollen, auch Reflexion ihres eigenen Schicksals, das 1997 in Paris nach einer Flucht vor Fotografen enden wird.
Die filmdramatische Erzählung erlaubt sich hier einen Augenblick der Komik, wenn im Kontrast zu dem edlen Fasan ein gewöhnliches Brathähnchen in einem ordinären Fastfood-Restaurant den Sieg der Mutter über Etikette und Hofzeremoniell verkörpert.
Eine weitere starke Setzung unternimmt Regisseur Pablo Larraín, der bereits Sinn für das Symbolische in seinem Film über »Jackie« Kennedy, spätere Onassis bewies, indem er Lady Di sich mit einem Buch über Anne Boleyn beschäftigen lässt. Heinrich VIII. hatte sie zu einer seiner Ehefrauen und zur Königin gemacht, bevor der Monarch die Mutter der künftigen Elisabeth I. 1536 aufs Schafott bringt und über diesen Fall mit dem katholischen Rom bricht und sich ans Haupt der Englischen Hochkirche setzt.
Diana (Kristen Stewart, bis hinein in das giraffenhaft Staksige und Somnambule beängstigend authentisch) kommt zu spät, als sie nach Sandringham House in Norfolk unterwegs ist, wo die angeheiratete Familie feiert. Sie kennt sich in der Gegend aus, ist dort selbst aufgewachsen. Diese Irrfahrt – schon ein Zeichen. Auf einem Feld erkennt sie an einer Vogelscheuche eine alte Jacke ihres Vaters. Sie, deren extravaganter und kapriziöser Stil sich nicht nur mit Versace verbindet, scheint in dem ausgemusterten Kleidungsstück auch den Verlust einer ursprünglichen Unschuld zu sehen.
Auf dem königlichen Anwesen gehen Feierfreude und Frömmigkeit eine eigenwillige Allianz ein. Bei den Teilnehmern wird das Gewicht festgestellt, das nach dem Christmas-Schlemmen während dieser Tage zugelegt haben soll. Die Prinzessin, die an Bulimie leidet, hat sich der Prozedur ebenfalls zu unterziehen. Sie fühlt sich wie eine Dekorationspuppe, die Kleider zu tragen hat, die ihren privaten Körper verbergen, ihn neutralisieren, um nicht zu sagen: ihn vernichten.
Aus solchen Momenten, konkreten Handlungen und eine höhere Ordnung annehmenden Zusammenhängen baut Larraín sein Psychodrama »Spencer«, das sich ganz und gar auf die eine Person bezieht. Es ist die Studie einer »Woman under Influence«, wie ein berühmter Film von John Cassavetes heißt, die als solche auf der Borderline balanciert, immer in Gefahr, abzustürzen, zu »cracking up«, wie von ihr hinter vorgehaltener Hand geflüstert wird. Ein Störfall, Irritation erzeugend und ihrem Wesen nach von sich selbst existentiell irritiert.
»Spencer«, Regie; Pablo Larraín, GB / D 2021, zwei Stunden, Start: 13. Januar