Als tiefbegabt bezeichnet er sich – was für ein wunderbares Wort – weil er zwar sehr viel denken kann, das dann aber meistens länger dauert als bei anderen Menschen. Andreas Steinhöfels liebenswerter Jugendromanheld Rico lebt in Berlin-Kreuzberg, sein Lebenskosmos ist die lange, gerade Dieffenbachstraße, weil er rechts und links schlecht unterscheiden kann. Dort ist sein Förderzentrum, dort kann er einkaufen gehen. Und dort kennt er die Nachbarschaft, den fiesen Fitzke, der ihn »Schwachkopf« nennt, die depressive Frau Dahling, mit der er Filme schaut, Polizist Westbühl aus dem dritten Stock – und seinen Freund Oskar. Der ist hochbegabt und trägt immer Helm, zur Sicherheit.
Autor Andreas Steinhöfel wirft seine Leser*innen mitten hinein ins wenig rosige Großstadtleben. Er beschönigt nichts, beschreibt aber humorvoll und präzise seine schrulligen Figuren. Dass die in Kai Anne Schuhmachers Inszenierung am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier als lebensgroße Klappmaulpuppen bespielt werden, verstärkt diesen Eindruck. Der lockengewickelte Kopf von Frau Dahling überm wehenden Morgenmantel, die traurigen Augen Ricos, die dem energiegeladenen Jungen immer auch eine Nachdenklichkeit mitgeben. Die Sparte Puppenspiel gibt es seit 2019 am MiR, fürs Sozialdrama »Rico, Oskar und die Tieferschatten« ist das eine echte Bereicherung. So viel Wärme, so viel Witz. Und natürlich Spannung. Auf Anke Niehammers Bühne dreht sich – zur Klavier- und Gitarrenbegleitung von Martín Sotelo – der Mikrokosmos Mietshaus, öffnet Wohnungstüren und verbirgt Geheimnisse. Miniaturpuppen und Spielzeugautos vergrößern sich im Live-Video zu Protagonisten wilder Roadmovies und Fetzen von Gedankenkarussells. Was für ein Trip!
ab 8 Jahren, 12., 15., 21. und 26. Dezember, www.musiktheater-im-revier.de