Auf »Haram« bringt Kay Shanghai in sehr persönlichen Songs Rap, Electro, Emo-Rap, Funk, Pop und Indie-Elemente zusammen und erzählt zwischen Humor (»Ananas«) und Melancholie (»Lego«) seine eigene Geschichte. Es geht um Spießigkeit, zerbrochene Beziehungen und das Aufbegehren gegen den Mainstream.
kultur.west: Herr Shanghai, die Pandemie hat auch Sie getroffen. Sie sind Betreiber des Clubs »Hotel Shanghai« in Essen, den sie schließen mussten.
SHANGHAI: Ja. Wir haben den Club freiwillig geschlossen – und zwar ehe wir ihn irgendwann hätten schließen müssen. Ich habe mich einfach nicht mehr sicher genug gefühlt – auch für meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zudem muss ein Club lebendig und unmittelbar sein. Und das kann ich mir ab einem gewissen Punkt, wenn es Einschränkungen gibt, einfach nicht mehr vorstellen. Dann ist es weniger schmerzhaft, den Club für eine Zeit zuzumachen, als ihn irgendwie offenzuhalten. Das wäre nicht mehr das gleiche.
kultur.west: Das bedeutet aber auch: Das »Hotel Shanghai« wird irgendwann wieder öffnen, wenn sich die Pandemie-Lage wieder halbwegs normalisiert hat?
SHANGHAI: Ja, klar. Sonst hätte ich das nach 17 Jahren einfach beenden können. Auch wenn man sich natürlich Fragen stellt wie: Möchte ich das noch? Kann ich das noch? Was ist meine Motivation dahinter?
kultur.west: Was ist denn Ihre Motivation?
SHANGHAI: Die Leidenschaft, die ich spüre und investiere. Für die Musik. In die Musik. Es ist nicht das Geld. Nein: Man ist einfach getrieben. Und gerade diese 300er-Clubs wie eben das »Hotel Shanghai« sind ja wichtig für die Kultur. Denn in denen spielen die Bands schließlich, ehe sie in die großen Hallen gehen. Wir machen also Underground. Und auch wenn wir ab und an große Künstler bei uns haben: Wir etablieren Subkultur bei den Kids. Bei uns spürt man all das, wenn es gerade explodiert. In den großen Hallen wird es dann zur reinen Rechenaufgabe, wenn es um Ticketpreise und Merchandise geht.
kultur.west: Nun haben Sie in der Zeit des Lockdowns Ihr erstes Album aufgenommen. Darauf singen Sie an einer Stelle: »Es ist alles so entspannt«. Das ist angesichts der vergangenen eineinhalb Jahre eine glatte Lüge, oder?
SHANGHAI: Es geht dabei eher um das hedonistische Lebensgefühl, das ich für die Leute in meinen Songs transportiere. Außerdem geht es um die Erfahrung rund um die Platte. Angefangen hatte ich mit ihr ja schon vor der Pandemie. Ich erinnere mich, dass ich seinerzeit freitags noch Clubbetrieb hatte – und dann samstags bereits Studiozeit mit meinen Freunden, die an der Platte mitwirkten. Das ist für mich normalerweise nicht so einfach. Denn es kann dann freitags auch mal länger gehen und ich sage dann gerne auch mal Termine ab (lacht). Aber diese Studiotermine waren heilig für mich. Und sie waren am Ende auch eine wunderbare Erfahrung, heilsame Erfahrung: Man ist mit seinen Freunden zusammen und kreiert gemeinsam etwas. Es entsteht eine Erinnerung, dann weitere – und am Ende wird daraus irgendwann ein ganzes Album.
kultur.west: Warum ein eigenes Album? Hat vorher etwas gefehlt in Ihrem Leben?
SHANGHAI: Ich war eigentlich ganz glücklich mit meinem Leben zuvor. Shows zu veranstalten kann auch sehr erfüllend sein. Nein. Es war so: Wir sind schon früher mal aus dem Club ins Studio gegangen, ich probierte dort etwas aus und die Jungs meinten dann: »Das hat Potenzial. Lass‘ uns das mal nüchtern machen.« Und so entwickelte sich das. Ich bin kopfüber reingestürzt und habe auch erstmal eine Zeit lang gebraucht, um zu begreifen, dass sich für diese Songs über meine Freunde hinaus auch andere interessieren.
kultur.west: Hat Ihnen diese Vorstellung Angst gemacht?
SHANGHAI: Es war eher befremdlich, das zuzulassen. Denn ich öffne mich ja mit der Thematik. Und viele Dinge lassen, auch wenn sie lustig sind, tief blicken.
kultur.west: Weil die Songs immer auch autobiografisch sind?
SHANGHAI: Ja. Es ist auch ein seltsames Gefühl, wenn sich manche Songs später bewahrheiten. Man schreibt etwa einen traurigen Song, obwohl man glücklich ist. Und auf einmal kommt es tatsächlich so. Das ist unheimlich.
kultur.west: Sie selbst sprechen von sich als »erstem deutschsprachigen offen schwulen Rapper«. Muss man das heute so hervorheben – sollte es nicht selbstverständlich sein?
SHANGHAI: Mir macht es Spaß, das zu sagen. Und je größer die Bühne ist, umso schöner ist es. Es gibt den Leuten offensichtlich auch etwas. Denn viele kommen dann, wenn sie das hören, angelaufen und hören plötzlich zu. Zudem ist es meiner Meinung nach auch wichtig angesichts der Probleme, die der Rap hierzulande sonst so hat. Es herrscht generell ein überholtes Weltbild, es gibt überholte Rollenbilder – auch wenn die jüngere Generation das glücklicherweise nicht mehr so sieht. Sie sieht eher die Veränderung. Deshalb mag sie auch die Clubkultur, weil die Dinge dort eben derart fließen.
kultur.west: Man kann auch sagen: Sie setzen ein Statement.
SHANGHAI: Ja. Und ich mag die Provokation. Sie gehört zum Rap-Game. Ich habe ja auch im Club gerne mal Money Boy angekündigt, indem ich sagte: »Hier kommt mein Ex-Freund.«
kultur.west: Sie sagen »Provokation« – womit wir wieder beim Begriff der Subkultur sind. Rap ist Subkultur. Ihr Club ist Subkultur. Kay Shanghai frönt der Subkultur.
SHANGHAI: Absolut. Meine Intention, das »Hotel Shanghai« aufzumachen, war auch nie, um den Leuten zu gefallen. Ich wollte unangenehm sein. Ich wollte ihnen ein bisschen weh tun. Und das mache ich jetzt auch mit meinen Songs. Ich habe mich nie als Gay- oder Queer-Aktivist verstanden. Aber man ist natürlich allein durch die Bands, die man bucht, und deren Hintergrund politisch. Ihnen gibt man eine Plattform. Und ich gebe den Kids einen Zufluchtsort. Ich komme selbst aus der linken Szene. Es ist wichtig, dass wir den Leuten aus dieser Szene in Clubs einen Safe Space bieten. Dass wir ihnen Sachen bieten, die nicht Mainstream sind.
kultur.west: Wäre das Album anders geworden, wenn es die Pandemie nicht gegeben hätte?
SHANGHAI: Sagen wir so: Es war durch die Pandemie für mich ein »sehr bei mir sein«. Denn ich habe zum ersten Mal seit 17 Jahren die Zügel losgelassen. Normalerweise habe ich einmal im Jahr eine kurze Pause, bin dann in Italien – plane dort aber immer schon die Wiedereröffnung des Clubs nach dem Sommer. Sprich: Ich empfinde das gar nicht als Pause. Somit war es für mich 17 Jahre lang ein wilder Ritt. Bis zum Lockdown. Da musste ich erst einmal schauen: Wie viel Mensch ist denn da noch übrig?
Zur Person
Kay Shanghai wurde als Sohn eines deutschen Bauingenieurs und einer Italienerin in Wuhan/China geboren und lebte in Venezuela, Indonesien und in den USA. Nach Essen kam er während seiner Schulzeit. Nach Ausflügen ins Theatergenre begann er, inspiriert von der Clubszene in den USA, Partys im Ruhrgebiet zu veranstalten. Hinzu kamen Veranstaltungen im Mülheimer AZ. In seinem »Club Shanghai« fanden seit Mitte der 2000er Jahre neben DJ-Sets auch regelmäßig Konzerte statt, unter anderem mit Deichkind oder Clueso.
»Haram« ist auf dem Label des Künstlers – Hotel Shanghai Records – erschienen und als LP oder digitaler Download erhältlich.