Supermodel Claudia Schiffer zeigt als Kuratorin im Düsseldorfer Kunstpalast ihre Sicht auf Stil und Ausdruck der Modefotografie der 90er Jahre.
Die 90er definierten eine neue Ära der Mode. Die Ästhetik des Jahrzehnts war visionär, die Inszenierungen rebellisch, Kampagnen und Modestrecken glamourös, aufwändig und experimentell. Eine der begehrtesten Akteurinnen vor der Linse: das deutsche Supermodel Claudia Schiffer. Für den Düsseldorfer Kunstpalast hat die Modelikone jetzt erstmals eine Ausstellung über die Modefotografie der 90er Jahre kuratiert: »Capitative!« Zu deutsch: fesseln, verzaubern, in den Bann ziehen. Schiffer nimmt uns mit auf eine ganz persönliche Zeitreise in ein Jahrzehnt, das mit seiner Ästhetik Kunst, Mode und Design bis heute inspiriert. Zu den rund 120 Ausstellungsobjekten gehören ikonische Cover, perfekt inszenierte Kampagnenbilder und impulsive Modestrecken, aber auch intime Polaroids und seltene Backstage-Einblicke. Mit zentralen fotografischen Werken weltbekannter Fotograf*innen, aber auch Bewegtbild, Musik und Erinnerungsstücken aus ihrem persönlichen Archiv lässt Schiffer die Dynamik dieser Zeit wieder auferstehen, bildet das Phänomen der Supermodels ab und ermöglicht Blicke hinter die Kulissen von Modenschauen und Fashion-Partys. Die Bandbreite der vertretenen Stilistiken zeigt, wie divers die Bildersprache der 90er war: Ellen von Unwerths Sinn für Humor und ihr überbordendes Spiel mit Sexyness tritt den skulpturalen, perfekt komponierten Bilder von Herb Ritts entgegen. Die provokanten Aufnahmen von Juergen Teller begegnen der Eleganz und Zeitlosigkeit von Karl Lagerfelds Fotos. Daneben zeigt die Ausstellung eine Reichhaltigkeit der Medien selbst: Vom Billboard über den perfekten fotografischen Abzug, die gedruckte Magazinseite oder Polaroids und Kontaktbögen. Im Kapitel »My Story« zeigt »La Schiffer« einige Höhepunkte ihrer Laufbahn. 1987 war sie mit 17 Jahren von einem Modelagenten im Düsseldorfer Club Checkers entdeckt worden, ging nach Paris und wurde mit nur einer Kampagne quasi über Nacht berühmt und zu einem der bekanntesten Models aller Zeiten. Die gebürtige Rheinbergerin stand vor den Kameras der bekanntesten Fotograf*nnen der Gegenwart, wurde zur Muse von Karl Lagerfeld und zum Inbegriff eines Supermodels. Aus ihrer Wahlheimat London hat sie kultur.west exklusiv einige Fragen über ihre Arbeit als Kuratorin beantwortet und ihre ganz eigenen Erinnerungen an ein außergewöhnliches Modejahrzehnt.
kultur.west: Frau Schiffer, was machte den Zeitgeist und die Ästhetik der 90er Jahre so außergewöhnlich?
SCHIFFER: Als erstmalige Kuratorin wollte ich die Vision der Mode einfangen, die dazu beigetragen hat, die Sichtweise einer ganzen Generation zu fesseln und zu prägen. Die 1990er Jahre waren eine außergewöhnliche Zeit, in der sich eine Kultur des Stils, die Geburt des Supermodels und eine furchtlose Kreativität herausbildeten. Junge Designer, Fotografen, Stylisten und Artdirektoren sowie Haar- und Make-up-Künstler tauchten auf und veränderten unsere Sicht auf Mode und Design grundlegend.
kultur.west: Welche besondere Kraft und Faszination ging von der Modefotografie dieser Zeit aus?
SCHIFFER: Keine Modefotografie kann bei ihrer Entstehung als ikonisch bezeichnet werden. Diesen Status erhält sie erst im Laufe der Zeit. Modefotografie ist eine große Chiffre für Trends und Träume, und obwohl sie aus dem Moment heraus geboren wird, kann sie einen zeitlosen Status erreichen und eine größere Geschichte einfangen. Das war für mich das Spannende an der Recherche – das Aufspüren dieser erstaunlichen Momente, die auch heute noch etwas aussagen.
kultur.west: Welche Kriterien hatten Sie bei der Auswahl der Fotos?
SCHIFFER: Es hat Zeit und viel Geduld gekostet – ich meine, es gab buchstäblich Tausende von Bildern, aus denen ich auswählen musste. Und da ich die zahlreichen Formate der Modefotografie im vordigitalen Zeitalter zeigen wollte – von Kunstdrucken über Polaroids, Kontaktbögen, Mode-Magazinen bis hin zu Kampagnen und Modelkarten – war die Auswahl umfangreich. Außerdem wollte ich starke Kontraste zwischen ikonischen Titelbildern, Laufstegbildern und Schnappschüssen hinter der Bühne schaffen. Die schwierigste Aufgabe war die Erstellung eines Plans und der Räume im Kunstpalast. Ich habe die Schau von Anfang an nicht chronologisch, sondern in Gruppen und Kapiteln gesehen. Sie umfasst Supermodel Phenomena, Campaigns, Fashion Stories und My Story. Ich bin so glücklich und stolz, dass wir viele dieser Bilder sichern konnten – es ist das erste Mal, dass viele dieser Fotografen, Models und Talente gemeinsam in einer Gruppenausstellung gezeigt werden.
kultur.west: An welche Zusammenarbeit mit Fotografen denken Sie besonders gerne zurück?
SCHIFFER: Ich habe mit so vielen Fotografen gearbeitet, die auch zu Mentoren wurden. Persönlichkeiten wie Ellen von Unwerth, Herb Ritts, Richard Avedon, Arthur Elgort und das kreative Kraftpaket Karl Lagerfeld, die mir alle einen echten Einblick in die künstlerische Arbeit sowie in die Prozesse der Art Direction, der Bearbeitung und der Veröffentlichung gaben. Die Rolle des Models besteht darin, die Mode zum Leben zu erwecken, aber sie oder er ist nur eine Zutat in der Alchemie der Bildgestaltung. Im Laufe der Zeit und mit der Erweiterung meines Wissens begann ich, Drucke und Original-Archivmaterial zu sammeln. Meine persönliche Sammlung ist Teil der Ausstellung des Kunstpalastes.
kultur.west: Welche der gezeigten Bilder, Shootings oder Kampagnen haben Ihr Leben verändert?
SCHIFFER: Die Von-Unwerth-Geschichten waren ausschlaggebend. Ich habe auch sehr viel von Lagerfeld gelernt, mit dem ich 1990 zu arbeiten begann. Was Warhol für die Kunst war, war er für die Mode. Er hat mich von einem schüchternen deutschen Mädchen in ein Supermodel verwandelt und mir beigebracht, was Stil ist und wie man in der Modebranche überlebt. Das Lindbergh-Shooting für die amerikanische Vogue im September 1991 war eine epische Inszenierung, bei der die Supermodels Ballkleider und Lederjacken unter der New Yorker Brooklyn Bridge trugen. Es war eine Ehre, mit Avedon für Versace zu arbeiten. Jedes Shooting, das einen zu neuen Höchstleistungen anspornt, ist etwas Besonderes.
kultur.west: Wie kann man sich die Atmosphäre bei einem Mode-Shooting in den 90er Jahren vorstellen?
SCHIFFER: Grundsätzlich muss ein gutes Verhältnis zwischen dem Model und dem Fotografen herrschen. Was ich früh gelernt habe, ist, dass jeder Fotograf auf eine andere Weise »sieht«. Helmut Newton war akribisch bis ins kleinste Detail, und das verleiht seinen Bildern eine solche grafische Kraft. Im Gegensatz dazu ist Elgort ein Meister darin, die Ausgelassenheit im Freien einzufangen. Aber der Dreh selbst ist ein komplexes Puzzle von Experten aus allen Bereichen – Fotografie, Haare und Make-up, Location und Set-Design, Models, Stylisten, Art Directors und Redakteure. Der eigentliche Zauber findet dann in der Dunkelkammer statt, beim Drucken, Retuschieren und Layouten.
kultur.west: Wie entstand damals das Phänomen der Supermodels?SCHIFFER: Supermodels waren eine kreative und kommerzielle Kraft. In der Rezession der frühen 90er Jahre haben wir meiner Meinung nach dazu beigetragen, den Glamour und den Optimismus der Mode am Leben zu erhalten, als der Markt für Designer stark rückläufig war. Als sich die Wirtschaft erholte, bestand die Rolle des Supermodels darin, das Image einer Marke in die ganze Welt zu tragen, und das zu einer Zeit, als die Mode global expandierte. Es war die Demokratisierung der Mode und der Aufschwung der Marken, die das Supermodel »möglich« machten. Und es war das Auftreten der Supermodels als Kollektiv für viele Marken wie Versace, Chanel, Dolce & Gabbana, das sich als Dynamit erwies.
kultur.west: Die Ästhetik der 90er Jahre ist ja schon eine Weile in Mode. Wie passt das in unsere Zeit?
SCHIFFER: Die 90er Jahre sind eine Zeit großer Inspiration, die jetzt wiederentdeckt wird. Das sieht man daran, wie sich die jüngere Generation in Vintage-Levi’s und Panzern, in Slipdresses und Birkenstocks kleidet und analoge Vinylplatten und Polaroid-Kameras sucht. Die fotografischen Meister dieser Ära werden von Influencern auf Instagram nachgeahmt und referenziert. Ich hoffe, »Capitative!« spricht alle Generationen an.
kultur.west: Sie sind schon unzählige Male fotografiert worden. Haben Sie ein Lieblingsfoto von sich selbst?
SCHIFFER: Nun, eine Lieblingserinnerung ist die an meine Zeit mit der deutschen Fotografin Ellen von Unwerth in Paris im Alter von 17 Jahren. Wir waren beide Berufsanfänger und verstanden uns prächtig, als ich in meinen eigenen Klamotten neben dem Centre Pompidou herumlief. Dann kam Paul Marciano, der die Bilder sah und uns für eine Werbekampagne für Guess Jeans haben wollte. Das war der Anfang, und kurz darauf rief Revlon an und fragte mich, ob ich das Gesicht des ersten Parfums für Guess sein wolle.
kultur.west: Gibt es weitere Projekte, an denen sie derzeit arbeiten?
SCHIFFER: Ich habe das große Glück, dass ich das, was ich tue, liebe, so dass sich Design-Kooperationen und Kuratorentätigkeiten als natürlicher nächster Schritt für mich anfühlen. Zusätzlich zu der von mir kuratierten Kunstpalast-Ausstellung habe ich eine Zusammenarbeit mit den portugiesischen Traditionsmarken Vista Alegre und Bordallo Pinheiro in den Bereichen Glaswaren und Keramik. Die Kollektionen (die letztes Jahr auf den Markt kamen) sind von meiner Liebe zur Natur inspiriert, und im Jahr 2022 werden neue Kollektionen herauskommen. Es macht mir großen Spaß, mehr über die Handwerkskunst dieser Hersteller zu erfahren und Formen und Motive zu entwerfen. Außerdem habe ich gerade mit der Marke Réalisation Par zusammengearbeitet, die ich durch meine Tochter Clementine entdeckt habe. Die Kollektion, die jetzt auf den Markt kommt, ist sehr von den 90er Jahren inspiriert und von der Art von Stücken, die ich früher täglich getragen habe. Ich habe in meinem Archiv nachgesehen und dort Seidenslipkleider, Gänseblümchenmuster und einen klassischen schwarz-weißen Mikrotupfer gefunden – diese Fundstücke waren der Ausgangspunkt.
Captivate! Modefotografie der 90er
bis 9. Januar 2022
Kunstpalast Düsseldorf