»Längst überfällig«. So meinen Produzenten und Filmemacher ihr Projekt anpreisen und schönreden zu dürfen. Ach, nein, dann doch wohl nicht. Es ist die dritte Adaption der „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“. Kurt Hoffmanns Verfilmung von 1957 – Thomas Mann war erst seit zwei Jahren tot – mit einem wunderhübschen, liebreizenden Horst Buchholz (unvergessen seine irre Kür vor der Musterungskommission) und einer kecken Liselotte Pulver sah aus wie der Geist ihrer Epoche und ist uns längst in einem freundlichen Sinn historisch geworden. Bernhard Sinkels TV-Fünfteiler aus den achtziger Jahren mit einem wunderhübschen, liebreizenden John Moulder-Brown, der bei Visconti und Jerzy Skolimowski gezeigt hatte, was er können könnte und als Krull nur ein Model zwischen Kulissen war, wurde zeitbedingt lauter, üppiger, flacher und bis hinein in sein falsches Finale blödsinnig.
Jetzt also Nummer 3, inszeniert und geschrieben von Detlev Buck und Daniel Kehlmann, dessen literaturwissenschaftliche Kompetenz offenbar nicht in seine Drehbücher eindringt, so dass nur der vermeintliche Unterhaltungsanspruch darin Eingang findet und sich trompetend und marktschreierisch aufdrängt. Der Schelmenroman mag auch Humoreske sein – bei Buck ist er eine Klamotte.
Jannis Niewöhner hält seinen »Kostümkopf« hin, wie es bei Thomas Mann heißt – und mehr lässt sich über ihn auch nicht sagen, außer, dass er plumper und naiv aufdringlicher ist als die beiden Vorgänger und in seiner Geckenhaftigkeit absolut frei von Esprit und Charisma. Der sich als Memoiren verkleidende Roman – Krull schreibt ihn bekanntlich wortgewandt in der Haft – liest sich bei Buck & Kehlmann bestenfalls als eine Aufsteigergeschichte.
Felix, aus dem Rheinischen und aus zweifelhafter Familie stammend, wird dank seines Paten Schimmelpreester als Lehrling an ein Grandhotel in Paris vermittelt und reüssiert. Gold und Glück fallen ihm zu. Von Natur aus ist Felix weniger Hochstapler, der sich fremde Identitäten wie die des Marquis de Venosta (hier: David Kross) aneignet und darin eine Zeitfigur ist (Max Frischs »Stiller« erschien nahezu parallel). Vielmehr Illusionist, Verwandlungskünstler und Artist seines Lebens, der sich der Welt angenehm macht und ihr mit seinem Wesen auf den Grund schaut.
In dem großen Menschheits-Gespräch, das er auf der Reise von Paris nach Lissabon mit dem Paläontologen Professor Kuckuck (hier: Joachim Król) führt, wird ihm eine pantheistische Liebes- und Lebensphilosophie ironisch-ernsthaft zugeschrieben. Felix, der Weltumarmende, bleibt einsam, während er Männer und Frauen beglückt, aber diese mit schwerem Herzen in betrübter Heiterkeit zurücklässt, ob einen schottischen Lord oder einen törichten amerikanischen Teenager oder eben die in dieser Version trivialisierte Zaza (hier: Liv Lisa Fries). Auf andere Weise unterliegt auch Felix wie Thomas Manns faustischer Komponist Adrian Leverkühn einem Verbot: Er darf sich nicht lieben lassen. Wo er geliebt wird, entzückt und enttäuscht er gleichermaßen.
Aber das sind Gedanken, von denen der Film nichts weiß und nichts wissen will. Er begnügt sich mit Garnituren, wie sie die Belle Epoque in üppiger Fülle bereitstellt. Die nicht wenig prominenten Darsteller beiderlei Geschlechts stehen herum wie Kleiderpuppen in einer Dekoration.
Eine begründbare Beschäftigung mit dem Stoff, den Thomas Mann früh begonnen, Jahrzehnte lang liegen gelassen und im Spätherbst seines Lebens wiederum aufgenommen und als Fragment beendet hat, wäre gewesen, die Skizzen und Ideen des Autors für eine Fortsetzung von Felix’ Lebensreise zu fantasieren. Also mit der Möglichkeitsform zu spielen: Felix, der in Südamerika einem wunderhübschen Zwillingspaar und in beiden, Bruder wie Schwester, erotischen Doppelgängern seiner selbst begegnet. Kehlmann hätte das vielleicht sogar gekonnt. Schade drum. So geht der Film nicht mal als harmlose Gaunerei durch.
»Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull«, Regie: Detlev Buck, D 2021, 115 Min., Start: 2 September